Quarantäne im Paradies

Eine merkwürdige Ausnahmesituation - unsere Autorin sitzt auf Kuba im Hotel fest.
Eine merkwürdige Ausnahmesituation - unsere Autorin sitzt auf Kuba im Traumhotel fest.
Beim Betreten des Restaurants sprühen Hotelangestellte Chlorlösungen zur Desinfektion auf die Hände der Gäste. Dahinter scheint alles wie immer. Normaler all inclusive Betrieb in einer Hotelanlage in Varadero. Gut, die Kellnerinnen tragen Mundschutzmasken, einige augenscheinlich selbst genäht, aber sonst gibt es kaum Anzeichen dafür, dass wir uns in einer der größten gesundheitlichen Krisen des 21. Jahrhunderts befinden und dieses Hotel eigentlich eine Touristen-Quarantäne-Station ist. Es wird gefressen und gesoffen, sich über Nase und Mund gestrichen, um danach die Löffel vom Buffett anzugrabbeln, in die Hände gehustet, Kindern durch die Haare gewuschelt. Corona? Das ist ein Problem der anderen.

Seit dem 24. März dürfen in Kuba nur noch staatliche Hotels und staatliche Taxifahrer Touristen aufnehmen beziehungsweise befördern. In Varadero und Havanna werden die Gäste in einigen wenigen großen Hotelanlagen gebündelt. Dort genießen sie den Luxus eines eigenen Strandabschnitts – doch danach ist Schluss. Vor die Tür kommt niemand. Am Ende des zugeteilten Strandes stehen Wächter und signalisieren das Ende der Sperrzone. 

Eine Dame, die schon seit dem Wochenende in dem Hotel ist berichtet, dass bei ihrer Ankunft hauptsächlich russische Gäste da waren. Danach schrumpfte die Zahl der russischen Touristen jeden Tag um gefühlt die Hälfte, während die Zahl der deutschen Reisenden sich Tag für Tag verdoppelte. Stand Donnerstag: 122 Deutsche. Außerdem noch einige verbliebene Russen, Franzosen, Schweizer, Briten. Es dünnt sich aus. 

Nun sollte man meinen, dass sich eine beklemmende Stimmung breit macht. Meine Gedanken kreisen um soziale Experimente, in denen Gruppen von Menschen von der Außenwelt abgeschirmt irgendwo eingesperrt werden und um menschliche Abgründe, die sich auftun. Wird an so einem Ort Corona zu Egoismus oder Solidarität führen? Und wie äußern sich diese beiden Phänomene in dieser Zeit? Ist es nun eher solidarisch sich zurückzuziehen oder sich zusammenzuschließen? Wie viel Misstrauen ist angebracht? 

Die Zigarren kreisen

Während in Deutschland, so scheint es zumindest von Kuba aus, jeder im Krisenmodus auf Distanz geht, Kontakte digital pflegt und versucht, die Zeit möglichst sinnvoll herumzubringen, ist Social Distancing hier nur ein Hashtag auf Instagram – eine App, die bei umgerechnet einem Euro pro Stunde Internetnutzung irrelevant wird. 

Dass wir nur in diesem Hotel sitzen, weil die kubanische Regierung – zu recht – in Touristen umherreisende Virenschleudern sieht und nun, in diesem vermutlich verspäteten Schritt versucht, ihre Bevölkerung zu schützen, scheint vergessen. Dass wir uns in einem Land befinden, das zwar eine sogenannte „Armee der weißen Kittel“ von Krankenpflegerinnen und Ärztinnen hat, aber nicht immer fließend Wasser und Seife, scheint ein Problem, dass in der Hotelanlage niemanden etwas angeht. Dass wir hier zwar im all inclusive Urlaubsparadies aber auch irgendwie im Gefängnis sitzen, scheint egal. Dass da draußen Menschen sterben, scheint weit weg. Dass auch hier jemand infiziert sein könnte, ausgeschlossen. 

Es gibt 70 Leute zu viel für den Flieger und Plätze werden nach dem „Wer zuerst kommt, mahlt zuerst“-Prinzip vergeben.

Antonia über ihr ganz persönliches Kuba-Abenteuer

Es gibt Rum, Zigarren und Strand mit Palmen. In großen Gruppen wird gemeinsam gebechert. Paare schließen Freundschaft und lassen die Zigarren kreisen. Rettungsschwimmer schmeißen eine Party unterm Schirm, trinken Rum-Cola aus Thermosbechern. Alleinreisende Damen lernen von den verbliebenen Animateuren noch schnell Salsa. Abends geht es im Zimmer weiter, grölend wird dann noch eine Runde durch die Anlage gedreht. Nur einmal zeigt sich eine andere Einstellung: Als ein Flugzeug über den Strand fliegt. Menschen recken die Hälse, einige kommen unter ihren Schirmen her um es besser sehen zu können, andere johlen. Danach bricht Gelächter aus – über den eigenen verzweifelten Willen, nach Hause zu kommen, den dann doch alle irgendwo in sich tragen.

Die Individualtouristen langweilen sich

Als es an Tag drei heißt, dass jemand von der Botschaft vorbeikomme, wird dem Informanten vorgeworfen, den günstigen Strandurlaub abzubrechen. Der Corona-Spezialpreis der Hotelanlage ist wirklich sehr entgegenkommend. Das muss man festhalten. Doch irgendwas ist anders. Vielleicht ist es der Kater, vielleicht die ersten Anzeichen von Lagerkoller, vielleicht liegt es daran, dass es immer weniger Menschen werden. Ich bin bei Sonnenaufgang nicht mehr alleine mit den Krabben am Strand. Neben mir macht noch eine junge Frau Yoga, zwei junge Männer joggen den Strandabschnitt auf und ab, einer läuft in der Hotelanlage Runden.  Beim Mittag treffe ich die erste, die sich auch um die Hygiene sorgt – und zwar nicht die im Bad des Hotelzimmers. Sie und ihr Freund sind immer die ersten beim Essen, dann konnte noch nicht über Besteck und Teller gehustet werden.

Bei der Versammlung mit der deutschen Botschaft eskaliert die Situation dann fast. „Setz dich hin.“ „Du hast mir gar nichts zu sagen.“ Junge Männer und Familienpapas spannen die Muskeln an. Bier eins um 11 sorgt nicht zwingend für Gelassenheit. Ob es hier wohl noch richtig hoch hergehen wird? Gleichzeitig kursiert aber auch die Idee einer Büchertauschbörse, für mehrere Tage nur Strand ist kaum jemand ausgerüstet. Man überlegt Deo gegen Shampoo zu tauschen, gibt sich gegenseitig Internetbudget ab.

Abschiedsparty

Am Freitag kommt für viele die lang ersehnte Nachricht: Sie stehen auf der Passagierliste für einen Flug am Samstag nach Frankfurt. Müde Freude macht sich breit, vereinzelte Verzweifelte checken ihre Mails. Werden wohl Leute im Hotel bleiben müssen? Nein, nein, wird denen ohne Mail versichert, wir lassen euch nicht zurück. Pläne für Mini-Demonstrationen am Flughafen werden ausgeheckt, um wirklich allen aus dem Hotel die Ausreise zu ermöglichen. Auch von der Botschaft kommt die Ansage, dass alle zum Flughafen kommen sollen – egal ob mit Mail oder ohne.

Für drei blonde Freundinnen geht’s nach der Nachricht schnell wieder an den Strand: „Noch etwas brutzeln“, wie sie grinsend sagen. Am Abend wird vor der Hotellobby noch ein letztes Mal ausgelassen die Klassenfahrtstimmung zelebriert. Es wird im Kreis gesessen, über Zigarren gefachsimpelt und mit vorher Fremden geknutscht.

Der Tag der Abreise: Um 13 Uhr sammeln sich alle deutschen Touristen in der Hotellobby. Entspannt wird auf dem Gepäck gesessen. Die Damen der Botschaft und dem kubanischem Reiseveranstalter, die den Transfer zum Flughafen organisieren, machen ein Selfie. Währenddessen kursieren Gerüchte: Es gibt 70 Leute zu viel für den Flieger und Plätze werden nach dem „Wer zuerst kommt, mahlt zuerst“-Prinzip vergeben. Beruhigende Worte vom kubanischen Reiseveranstalter: Alle, die nicht ins Flugzeug passen, werden im Bus nach Havanna gebracht, kommen dort ins Hotel und fliegen am nächsten Tag. Nervöses Kichern ist die Reaktion – diesen Gedanken können anscheinend nur die volltätowierten und tiefenentspannten Thüringer ertragen. 

Entsprechend ist die Situation am Flughafen. Als die Mitarbeiterinnen an den Check-in-Schaltern Platz nehmen, geht das Gedrängel los. Auch wenn zuerst Familien, Alte und Kranke eine Boardkarte bekommen, schiebt sich nun alles in einem großen Haufen nach vorne. Gleichzeitig wird bekräftigt, komme was wolle, nicht zu einem asozialen Greta-Hasser-Mensch werden zu wollen und nun die Ellenbogen auszufahren. Zu spüren ist von so einem altruistischen Geist allerdings nichts. 

Leute ohne Platz auf der Passagierliste werden gebeten, in eine andere Reihe zu kommen – ich gehöre dazu, meine Nerven liegen blank. Die Koordinatorin der Botschaft lacht und scherzt, reißt Sprüche. Ich könnte ihr die Ohren lang ziehen, in dieser Situation so eine Laune zu haben. Oder heißt das, dass doch alle ins Flugzeug passen? 

Spätestens ab dem Moment, in dem ich ohne Listenplatz ein Ticket habe, verfestigt sich der Glaube, dass alle Anwesenden auch abreisen können. Ein kurzer Plausch, alle freuen sich für mich, dann geht es durch Passkontrolle und Security-Check rein. Durch Fenster können wir den Check-in beobachten, wo nur noch sehr wenig Leute stehen.  

Was wir nicht gesehen haben, sondern von einem Paar, das zwei der letzten Plätze ergattert hat, berichtet wird: Es gibt doch nicht für alle einen Platz im Flugzeug. Dafür hat es Gebrüll und Gezeter gegeben, da es von der Schnelligkeit des Mitarbeiters abhing und vom Glück, einen Schritt weiter vorne zu stehen, ob man mitkommen konnte oder nicht. Wie viele Leute genau dann weiter nach Havanna fahren mussten, ist mir nicht bekannt. Wer nicht im Transit ankommt, ist aus den Augen verloren – Handynummern haben trotz vieler gemeinsam verbrachter Stunden nur wenige ausgetauscht.

Als ich mit der Schule fertig war, wollte ich nur einen Job, der mir nie langweilig wird. Die Kulturszene, dachte ich mir, ist doch eine Szene voller Wandel. Deswegen habe ich Kulturarbeit studiert. Später habe ich festgestellt, dass es im Journalismus noch mehr Abwechslung gibt, weil man stets auf der konkreten Suche nach den neuen heißen Themen ist. Doch weil über Vergangenheit und Gegenwart schon so viel geschrieben wird, studiere ich nun Zukunftsforschung und schaue, ganz ohne Glaskugel, in die Zukunft.