Interview

Die psychischen Folgen des Social Distancings

Kann die räumliche Isolation Depressionen auslösen?
Kann die räumliche Isolation Depressionen auslösen?
Schulen, Hochschulen und Universitäten bleiben ebenso wie viele weitere Bildungseinrichtungen geschlossen. Die Botschaft an Schüler und Studenten ist nach wie vor: Bleibt zu Hause! Social Distancing ist angesagt. Aber wie wirkt sich das eigentlich auf die Psyche aus? Wir haben dazu mit Krisenexpertin Ulrike Scheuermann gesprochen.
Von Tessniem Kadiri, funky-Jugendreporterin

Immer die gleiche Leier: Normalerweise beschweren sich Eltern darüber, dass Ihre Kinder nur zu Hause vor dem Fernseher oder am Computer hocken. Jetzt werden sie dazu aufgefordert. Irgendwie paradox, was vorher nicht gut war, kann es doch auch jetzt trotz Pandemie nicht sein, oder?
Das stimmt, deswegen befürworte ich auch, dass es ein Kontaktverbot für mehr als zwei Personen gibt, man aber trotzdem rausgehen kann. Das ist natürlich für Jugendliche auch nicht ideal, aber um Längen besser als eine komplette Ausgangssperre. Die Vorstellung, nicht rausgehen zu dürfen und zu Hause eingesperrt zu sein, hat schließlich viele geängstigt oder sauer gemacht.

Ein sehr berühmtes Experiment aus dem 13. Jahrhundert mit Babys, bei denen menschlicher Kontakt auf das Notwendigste beschränkt wurde, hat gezeigt, dass sozialer Kontakt anscheinend überlebenswichtig ist. Was bedeutet das für junge Menschen heute in Zeiten der sozialen Isolation?
Das Experiment gab es tatsächlich und ist total gruselig, aber auf die Situation jetzt kann man das nicht anwenden. Es handelte sich dabei um Neugeborene, für die körperliche Zuneigung tatsächlich existentiell ist. Bei Jugendlichen und Erwachsenen ist das anders, es geht dabei nicht um Leben oder Tod. Außerdem sind Jugendliche in der Regel auch nicht ohne ihre Familie isoliert. Es gibt noch Menschen um sie herum, aber die Peer Group fällt weg. Dann kommt noch hinzu, dass wir wissen, dass die aktuelle Lage zeitlich begrenzt ist und es sich höchstens um Monate handeln kann. Und nicht zuletzt haben wir momentan viele digitale Möglichkeiten, die die Jugend nutzen kann, um weiterhin in den Freundesgruppen vernetzt zu bleiben.

Eher introvertierte Menschen können mit der jetzigen Situation um einiges besser umgehen.

Ulrike Scheuermann über den Umgang mit der Krise

Wie kommt man als junger Mensch mit der Einsamkeit am besten zurecht?
Vorab ist es wichtig zwischen Einsamkeit und Alleinsein zu differenzieren. Wenn man gerade seine Freunde nicht treffen kann, dann ist man kurzzeitig allein. Einsam ist man aber nicht. Das wäre man nur dann, wenn man auch normalerweise keine sozialen Kontakte hätte. Zudem ist es ja so, dass der heutigen Jugend durch die Digitalisierung und moderne Technologien die Welt offensteht. Die Beziehung besteht schließlich auch, wenn der direkte physische Kontakt nicht da ist. Da kann man auch nochmal in sich gehen und sich in Erinnerung rufen: Wie bin ich denn mit der oder dem befreundet? Sowas stärkt das Verbundenheitsgefühl. Alles, was jetzt Kontakte aufrechterhält, ist gut. Also sollte man die digitalen Möglichkeiten neben altbekannten sozialen Netzwerken wie WhatsApp und dem konservativen Telefonieren erforschen. Corona zwingt sowohl Jugendliche als auch die Schulen, sich in dem Bereich weiterzubilden und neue Möglichkeiten zu erkunden.

Einsamkeit, das hört sich nach einer Vorstufe von psychischer Abschottung bis hin zur Depression an. Vor allem, da wir uns gerade in einer Ausnahmesituation befinden: Woran erkennt man, dass man an Depressionen leidet, und was macht man in so einem Fall?
Das ist tatsächlich eine Gefahr für Jugendliche, die durch die Interaktion mit anderen aufleben. Im Moment ist es für Extrovertierte daher schwerer als für introvertierte Menschen. An sich ist die Gefahr für Depressionen bei Jugendlichen hoch. Online-Tests zu den Symptomen sind da ganz praktisch. Antriebslosigkeit, ein niedriges Selbstwertgefühl, Sinnlosigkeitsgefühle – das sind die Leitsymptome. Wenn diese Symptome sich länger als zwei Wochen kontinuierlich halten, dann sollte man sich an Familie und Freunde wenden, um zu überlegen, was man dagegen machen könnte.

Wie lange ist so eine Isolation zu ertragen und ab wann sollte man sich um Kinder und Jugendliche sorgen, die sich nicht mehr mit Freunden treffen können?
Das ist total individuell. Eher introvertierte Menschen können mit der jetzigen Situation um einiges besser umgehen, während Extrovertierte lieber unter Leute gehen und sich durch den sozialen Kontakt erholen. Selbstverständlich werden letztere schneller an der Situation scheitern. Dass die Schule weitergeht, ist sehr gut, da der alltägliche Rhythmus vieler Schüler so trotz des aktuellen Ausnahmezustandes bestehen bleibt. Wenn die Tage nämlich einfach so vorbeigehen und keine Struktur da ist, dann kann das mit der Zeit sehr schwierig werden. Ich denke auch, dass die sechs Wochen Sommerferien sicher ganz schön lang sein können, wenn man zu Hause bleibt und nicht verreist.

Einsamkeit muss nicht nur negativ sein, Zeit zum Abschalten und um vor der täglichen Reizüberflutung zu fliehen ist vielleicht auch mal gut? Was ist die positive Seite des Social Distancings?
Ich denke es gibt ganz viele positive Seiten, auch wenn ich den Begriff physikalisches Distancing passender finde als Social Distancing. Denn in Kontakt bleiben und sozial sein kann man schließlich trotzdem. Ich will gar nicht sagen, dass es die negativen Seiten nicht gibt, weil ich die Bedenken und Ängste vieler völlig nachvollziehen kann. Trotzdem denke ich, dass die Kreativität in dieser Zeit zunimmt, denn Handy und Tablet verlieren nach einer Weile an Attraktivität. Was ich gemerkt habe: Sport kommt immer mehr in Mode, ich sehe vermehrt Jugendliche bei meiner täglichen Morgenrunde. Und dann haben wir diese einzigartige Situation, in der viele Familien sich momentan befinden, weil man sich durch Schulausfall und Home-Office mehr sieht und Zeit hat, mehr miteinander zu machen. Die Beziehung zueinander kann sich in der jetzigen Zeit vertiefen. Ohne den Begriff überstrapazieren zu wollen möchte ich zum Schluss betonen, dass wir gerade in einer Krise sind. Eine solche weltweite Krise haben Jugendliche in Deutschland noch nie erlebt. Man kann davon allerdings lernen. Gerade merkt man vielleicht noch nicht ganz, was daraus langfristig Gutes entstehen kann. Rückblickend wird man das sicherlich erkennen.

Meine Mutter sagt immer, dass ich spreche bevor ich nachdenke. Wahrscheinlich schreibe ich deswegen auch so gerne. Manchmal hat man so viele Gedanken im Kopf, dass die richtigen Worte länger brauchen, als der Mund sie ausspricht. Genau diese richtigen Worte versuche ich seit einiger Zeit bei funky zu Papier zu bringen. Zeitungen waren zwar nie mein Ding, aber als ich über die Jugendredaktion gestolpert bin, habe ich eine Zeitung gefunden, die ich auch gerne lese. Deswegen schreibe ich für funky: Damit ich morgens etwas anderes zum Lesen habe, als die Rückseite der Cornflakesschachtel.