Oma, erzähl mal – von der Kinderlandverschickung

Grafik eines roten Sessels im Scheinwerferlicht auf blauem Grund
Spot auf unsere Familienangehörigen, die in dieser Rubrik von früher erzählen.
Die 89-jährige Wilma erzählt von ihren Erfahrungen während der Kinderlandverschickung im zweiten Weltkrieg und von den Lügen, die ihr dort aufgetischt wurden.
Von Fabian Obst, 8. Klasse, Schiller Schule Bochum

Plötzlich hieß es: „Ihr fahrt auf Klassenfahrt.“ Wohin und wie lange wusste keiner, aber jeder war aufgeregt. Am Tag der Abfahrt verabschiedete Wilma sich von ihrer Mutter, als würden sie sich bald wiedersehen. Dennoch wussten sie, es wird wahrscheinlich sehr lange dauern. 

Die Unterbringung und der Unterricht erfolgten in einer Art Jugendherberge. Das Wichtigste war, dass alle Kinder das Gefühl hatten, Spaß und eine gute Zeit zu haben – mit netten Kindern in einer „friedlichen“ Umgebung. Wilma erinnert sich: „Erst hinterher begriff ich, dass alles nur ein Trick war, um uns bei guter Laune zu halten. Regelmäßig wurden Spiele gespielt und Sportfeste gefeiert, außerdem gab es für die Umstände reichhaltiges Essen. Aber es wurde uns immer intensiv eingeprägt, wie gut das Dritte Reich war.“

Einige Kinder haben erst nach ihrer Rückkehr vom Land erfahren, dass Familienangehörige im Krieg gefallen waren.

Wilma, eine Zeitzeugin der Kinderlandverschickung

„Außerdem“, so Wilma weiter, „erzählte man uns nur selten etwas von Zuhause. Wenn die Stadt mal wieder mit Bomben angegriffen wurde, erfuhren wir es mit sehr viel Glück durch einen Brief der Eltern. Jedoch wurden die Briefe von den Betreuern der Heime sehr streng kontrolliert, deshalb waren solche Informationen häufig Mangelware. Einige Kinder haben erst nach ihrer Rückkehr vom Land erfahren, dass Familienangehörige im Krieg gefallen waren. Ich hatte mit meinen Eltern bestimmte Zeichen vereinbart, durch die wir uns zumindest das Wichtigste mitteilen konnten.“ 

Weiterhin berichtet Wilma, dass trotz der vielen Freuden und des friedlichen Zusammenlebens ein strenger Plan verfolgt wurde. „Die Sportfeste, das gute Essen und die ausgedehnten Märsche waren natürlich darauf ausgelegt, dass wir zu Kräften kamen und zu folgsamen Nationalsozialisten ausgebildet wurden, um später dem Land dienen zu können.“

Für Heimweh gab es bei den Betreuern kein Verstädnis.

Wilma, eine Zeitzeugin der Kinderlandverschickung

Im weiteren Gespräch berichtet sie noch, dass viele negative Aspekte der Kinderlandverschickung erst im Erwachsenenalter für sie erkennbar wurden. „Es gab einige Kinder, die keine begeisterten Sportler waren und an den Märschen und Sportübungen nur widerwillig teilgenommen haben. Für diese Kinder war die Zeit auf dem Land sehr hart, da sie einem sehr hohen Druck durch die Lagerleiter ausgesetzt waren. Unabhängig davon wurde jeder mindestens einmal von Heimweh getroffen. Auch dafür gab es bei den Betreuern keinerlei Verständnis.“ 

Doch die meisten Kinder – so auch Wilma – haben zumindest einige gute Erinnerungen an diese Zeit. Trotzdem lautet ihre ausdrückliche Warnung, dass sich eine solch schreckliche Zeit niemals wiederholen darf und die Menschen alles dafür tun müssen, dies zu verhindern.

Von Reinickendorf bis Bochum, von Fulda bis Ottensen – überall schreiben Schülerinnen und Schüler Artikel über das, was um sie herum passiert. Jeder und jede aus ihrer eigenen Sichtweise, mit eigener Meinung und eigenem Schwerpunkt. Bei all den Unterschieden eint sie, dass sie mit ihrer Klasse an funky teilnehmen, dem medienpädagogischen Projekt der Funke Mediengruppe. Das erlernte Wissen wenden sie dann praktisch an, indem sie erste journalistische Texte schreiben. Auf funky können sie die Früchte ihrer Arbeit präsentieren.