230.000 Kinder und Jugendliche pflegen in Deutschland Angehörige

Die Übernahme von Pflegeverantwortung durch Heranwachsende ist kein Nischenthema“: Wie die „Pausentaste“ pflegenden Jugendlichen helfen will
Das Projekt "Pausentaste" unterstützt pflegende Jugendliche und Kinder.
Angehörige zu pflegen ist eine höchst emotionale und kräftezehrende Aufgabe. Unterstützung bietet ihnen dabei das überregionale Projekt „Pausentaste“des Vereins „Nummer gegen Kummer“. Anna Zacharias von „Nummer gegen Kummer“ erklärt, wie diese Hilfe aussehen kann.

Das Projekt „Pausentaste“ gibt es seit knapp 1,5 Jahren. Worum genau geht es dabei?

Das Projekt will junge Pflegende bundesweit durch ein niedrigschwelliges Beratungsangebot unterstützen. Die „Pausentaste“ soll ihnen helfen, Pausen einzulegen, zu reflektieren, Hilfsangebote wahrzunehmen oder über die eigene Situation zu sprechen – auch anonym. Das Angebot umfasst zum einen die Website www.pausentaste.de mit Erfahrungsberichten und Interviews mit jungen Pflegenden, Videos und Hinweisen auf Beratungsangebote sowie zum anderen die vertrauliche Telefon- und Online-Beratung der „Nummer gegen Kummer“.

Richtet sich die „Pausentaste“ also nur an pflegende Kinder und Jugendliche?

Nein, auch Lehrkräfte, ambulante Pflegedienste, Sozialdienste an Schulen und Kliniken sowie Jugendorganisationen und die Öffentlichkeit sollen auf das Thema aufmerksam gemacht und für Fragen in diesem Zusammenhang sensibilisiert werden. Die Beratungsangebote der „Nummer gegen Kummer“ können von den pflegenden Kindern und Jugendlichen wahrgenommen werden. Angehörige oder Eltern von pflegenden Kindern und Jugendlichen können sich an das Elterntelefon wenden.

Alle diese Angebote sind kostenlos. Wenn ich bei der „Nummer gegen Kummer“ anrufe, wer berät mich dann am anderen Ende?

Bei der „Nummer gegen Kummer“ beraten hauptsächlich qualifizierte Ehrenamtliche, die eine 70- bis 100-stündige Ausbildung absolviert haben. Auch Jugendliche im Alter von 16 bis 21 Jahren können sich aktiv beteiligen. Ausgebildete Jugendliche beraten dann jeden Samstag von 14 bis 20 Uhr am Kinder- und Jugendtelefon. 

Kann jeder ein solcher Berater werden?

Die Mitarbeit als Berater steht grundsätzlich jedem offen. Alle Berater müssen vor der eigentlichen Beratungstätigkeit eine 70 bis 100- stündige Ausbildung absolvieren. Während dieser Ausbildung werden die zukünftigen Berater im Rahmen von Selbsterfahrung, dem Erlernen und Üben von Gesprächsführungs- und Beratungstechniken sowie durch die Auseinandersetzung mit Themen, die für die Beratung von Kindern und Jugendlichen bedeutsam sind auf die ehrenamtliche Beratungstätigkeit vorbereitet. Die Online-Beratung der „Nummer gegen Kummer“ baut auf der Telefonberatung auf. In diesem Team arbeiten daher nur erfahrene ehrenamtliche Beraterinnen und Berater, die neben einer Ausbildung am Kinder- und Jugendtelefon oder bei „Jugendliche beraten Jugendliche“ mindestens ein Jahr Beratungserfahrung haben. Erst danach können sich Berater durch eine Zusatzausbildung zur Online-Beratung ausbilden lassen.

Manche schotten sich emotional ab, um funktionieren zu können.

Anna Zacharias berichtet über das schwierige emotianale Spannungsfeld pflegender Jugendlicher

Was passiert, wenn ein Anrufer mehr Hilfe als telefonische Beratung braucht?

An dieser Stelle übernehmen die Beratern der „Nummer gegen Kummer“ eine Vermittlungsfunktion. Wenn Ratsuchende den Wunsch nach weiterführenden Hilfen äußern, erhalten sie von den Beratern Adressen in der Nähe des Wohnorts. Falls die Ratsuchenden diese Informationen nicht preisgeben wollen, können sie auch über die Datenbank auf www.pausentaste.de  selber entsprechende Angebote suchen. 

Mit welchen Sorgen oder Problemen wenden sich die meisten Jugendlichen an die „Pausentaste“?

Pflegende Kinder und Jugendliche leben häufig in einer Welt aus vielen gegensätzlichen Gefühlen. Sie können hin- und hergerissen sein zwischen Liebe und Sorge um das Familienmitglied, dem Gefühl, gebraucht zu werden, Wut und Erschöpfung. Manche Betroffene haben einen schwierigen Zugang zu den eigenen Gefühlen und schotten sich emotional ab, um funktionieren zu können. In der Beratung ist es deshalb wichtig, um die Vielschichtigkeit dieser Gefühle zu wissen und ein Gespräch darüber zuzulassen. Gegensätzliche Gefühle dürfen auch nebeneinander bestehen! 

Pflegende Jugendliche sind einem enormen Druck ausgesetzt. Gibt es weitere Projekte, um die jungen Menschen besser zu unterstützen und zu entlasten?

Die Übernahme von Pflegeverantwortung und die damit einhergehenden Besonderheiten für die Entwicklung von Heranwachsenden ist kein Nischenthema. Junge Menschen mit Pflegeverantwortung erhalten bislang wenig Aufmerksamkeit. Umso wichtiger ist, dass Hilfen gut erreichbar sind und auf die Bedürfnisse pflegender Kinder und Jugendlicher angepasst werden. Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Familie und Jugend hat ein Netzwerk zur Unterstützung von Kindern und Jugendlichen mit Pflegeverantwortung ins Leben gerufen. Hier werden regelmäßig weitere Unterstützungsmöglichkeiten erarbeitet und angrenzende Themen diskutiert. Das Projekt „Pausentaste“ wurde zudem gerade erweitert: Ab sofort können sich betroffene Kinder und Jugendliche zusätzlich zwei Mal wöchentlich im Live-Chat der „Nummer gegen Kummer“ beraten lassen.