Erfahrungsbericht Mobbing: Das Leben auf der Opferseite

Mädchen guckt entsetzt auf ihr Handy (c) dpa
Bei Gefahren laufen Menschen weg, Cyber-Mobbing verfolgt schneller als du laufen kannst. Unsere Redakteurin war Opfer von Mobbing an ihrer Schule und erzählt hier davon.
Bei Gefahren laufen Menschen weg, Cyber-Mobbing verfolgt schneller als du laufen kannst. Unsere Redakteurin war Opfer von Mobbing an ihrer Schule und erzählt hier davon.
Von Anastasia Barner

Wenn du selbst Opfer von Mobbing bist, hilft die Nummer gegen Kummer – anonym und kostenlos: 116111.

Ich war stets ein glückliches Kind, auf all meinen Kinderfotos sieht man mich lachen. Damals war mir Mobbing kein Begriff. Ich war in der vierten Klasse, also noch auf der Grundschule, als ich meine ersten Erfahrungen mit Mobbing im Netz machte. Damals gründeten Klassenkameraden auf SchülerVZ und Facebook eine Anti-Anna-Gruppe. Sie luden mich ein, diese Seite zu liken.

Die Schule, ein Ort, den ich bis zu diesem Zeitpunkt gerne besucht hatte, wurde zu meiner persönlichen Hölle. Immer öfter litt ich unter heftigen Magenschmerzen. Meine Arztbesuche ließen mich im Unklaren, denn alle Ergebnisse kamen ohne Befund zurück.

Das Mobbing spiegelte sich in psychosomatischen Symptomen und meinen Schulnoten wider. Je schlimmer es wurde, desto schlechter wurden die Noten. Ich traute mich nicht mehr, meine Hand im Unterricht zu heben, aus Angst, dass ich etwas Falsches sagen und meinen Klassenkameraden eine weitere Angriffsfläche bieten würde.

Slut, Hure, Bitch. Mir war nicht bewusst, wie viele Synonyme es für Prostituierte gab.

Das Grausame an Cyber-Mobbing ist, dass man es nicht beim Verlassen des Schulgebäudes zurücklassen kann, sondern mit nach Hause nimmt. Es blieb mir kein Rückzugsort. Im Klassenzimmer sah ich die Gesichter meiner Mobber, zu Hause versteckten sie sich hinter Fake-Profilen oder verstellten ihre Stimmen am Telefon.

Irgendwann wurde Facebook von Instagram abgelöst. Auch dort fand ich keinen Frieden. Unter meinen Bildern reihten sich Hasskommentare: Slut, Hure, Bitch. Mir war nicht bewusst, wie viele Synonyme es für Prostituierte gab. Ich wurde als Schlampe bezeichnet, obwohl ich wohl eine der wenigen war, die ihre Unschuld noch mit 16 besaß. Ist der Ruf erst ruiniert, lebt es sich gänzlich ungeniert? Das war leider nicht der Fall. Es lebte sich einsam. Ich habe oft Selbstmordgedanken gehabt.

Ich erschuf mir meine eigene Welt, las viel und fing an zu schreiben. Erst für die Schülerzeitung, dann nahm ich an Schreibwettbewerben teil. Das führte zu Neid und stachelte die Täter noch mehr an.

Auf dem Gymnasium ging das Mobbing weiter

„Mit Hasch, Schnee und LSD ertragen wir das JLG.“ Auf dem Elite-Gymnasium in Berlin-Mitte war dies nicht nur ein Spruch, sondern ein Motto, nach dem viele Mitschüler lebten. Ich weigerte mich, Alkohol zu probieren oder vor der Schule in der Kälte an Zigaretten zu ziehen. So gehörte ich nicht dazu, war keine der „Coolen“. Sie haben mich verachtet, weil ich kein Mitläufer war.

Ich meldete meine Mobber online, löschte Kommentare unter meinen Bildern und versuchte so gut wie möglich Nachrichten wie „Ich rotz dir in deine hässliche Fresse“ zu ignorieren. Auch das half nicht, denn im Internet gab es damals keine Regeln. Damals machten mich die „sozialen Medien“ unsozial. Doch irgendwann habe ich gelernt, Plattformen wie Instagram zu nutzen, um mich mitzuteilen, und mit der Zeit war der Albtraum vorbei.

Oh, I am feeling so funky! Seit ich denken (oder besser gesagt schreiben) kann, interessieren mich Menschen und deren Geschichten. Ob es nun John Cena oder mein Großvater ist – jede Story ist es wert erzählt zu werden. Ich gebe denjenigen eine Stimme, die gehört werden möchten. Zu dem arbeite ich für das Konferenzformat TEDx in einer Agentur. Irgendwas mit Medien eben. Bin ja auch echte Berlinerin.