Nicht wie auf Instagram – Perfektionismus um jeden Preis

Frau meldet sich bei Instagram an
Frau meldet sich bei Instagram an (c) pexels.com

Meine Freundin Kim (Name von der Redaktion geändert) ist hochgradig perfektionistisch. Welche extremen Folgen das für sie hatte, beschreibt sie in diesem Text.

Eingereicht von Sophie Vahl, Klasse 10, Gymnasium Meiendorf, Hamburg

Ehrgeizig war ich schon immer. Gute Leistungen sind mir bereits in der Grundschule wichtig gewesen und das setzte sich am Gymnasium fort. Mit 13 Jahren bekam ich mein Smartphone und meldete mich bei Instagram an. Schnell stieß ich auf Bilder von schlanken, jungen Frauen, die am Strand vor Palmen posieren. Ihre makellose Haut, ihr glänzendes Haar und das strahlende Lächeln ließen sie für mich fehlerfrei aussehen. Ich betrachte mich im Spiegel. Was habe ich eigentlich für dicke Beine? Warum sind meine Augen so klein und unscheinbar? Da muss ich definitiv etwas ändern!

Mehr Make-Up, weniger essen

Je länger ich mich betrachtete, desto mehr Makel fielen mir an mir auf. Ich gehe an die Schminksachen meiner Mutter. Wenig später ist mein Gesicht mit einer dicken Make-up-Schicht zugekleistert. Aber da ist ja noch das Problem mit den dicken Beinen. Als Lösung fällt mir da nur Eines ein – weniger essen. Das funktioniert ganz gut, denn ich bin der absoluten Überzeugung, dadurch die schönen Beine der hübschen Frauen auf Instagram zu bekommen.

Aber da ich mich mit diesen Änderungen allein nicht zufrieden geben kann, will ich, dass es auch schulisch reibungslos läuft. Nicht selten arbeitete ich also bis in die Nacht hinein. „Es geht noch besser“, denke ich bei jeder Aufgabe.

Verschobene Selbstwahrnehmung

Während ich anfangs unbeschwert mit meinen Vorsätzen lebe, machen sich mit der Zeit die ersten Stör-Faktoren bemerkbar. Trotz zwei Pullis und einem Sweatshirt ist mir permanent kalt. Eines Tages spricht mich meine Lehrerin darauf an, dass ich so dünn geworden sei. Daraufhin schaue ich mich im Spiegel an, kann aber nicht verstehen, was sie meint. Ich bin umso mehr der Überzeugung, dass meine Beine noch genauso dick sind wie immer. Ich lasse heute besser das Mittagessen ausfallen. Das passt mir sowieso ganz gut. So habe ich mehr Zeit, um für die Deutscharbeit zu lernen.

Durch mein stundenlanges Arbeiten und die Gedanken, die sich nur um Essen, mein Aussehen und meine Noten drehen, beginne ich, an massiven Kopfschmerzen zu leiden. Diese halten mich auch noch in den wenigen verbleibenden Stunden der Nacht wach, in denen ich nicht arbeite. Allerdings blieben meine schulischen Leistungen weiterhin sehr gut.

Ich und dünn?

Eines Abends ist es dann soweit. Meine Eltern bitten mich zu einem Gespräch. Im Hinterkopf weiß ich genau, was sie ansprechen wollen. Anfängliche Fragen, ob es mir nicht gut ginge, blocke ich direkt ab. Danach sprechen sie meine Gewichtsabnahme direkt an. Auch damit liegen sie meiner Meinung nach völlig daneben. Ich bin doch nicht dünn!

Jedenfalls muss ich ihnen versprechen, regelmäßig zu essen. Das klappt allerdings überhaupt nicht. Stattdessen nehme weiter ab. Komplett fokussiert auf die Schule, vergesse ich das Essen manchmal auch einfach.

Kraft- und machtlos

Es vergehen weitere Wochen und meine Eltern machen mir Vorwürfe, ich sei nicht glücklich und würde nicht mehr lachen. Meiner Auffassung nach stimmt das keineswegs. Innerlich bin ich kurz vorm Explodieren, weil ich mich so unter Druck gesetzt fühle.

Nach weiteren Wochen scheinen meine Eltern am Ende der Verzweiflung zu sein. Meine Mutter macht ohne mein Einverständnis einen Termin beim Arzt, zu dem wir – ich völlig ahnungslos – nach der Schule fahren. Als ich erfahre, wohin es geht, bekomme ich allergrößte Panik. Ich schreie meine Mutter an, sie solle anhalten, mich rauslassen, sie könne mich nicht festhalten. Doch ich bin kraft- und machtlos.

Beim Arzt muss ich mich auf die Waage stellen. Hier bekomme ich die Quittung: Mein BMI-Wert ist so niedrig, dass ich in stationäre Behandlung muss. Krankenhaus-Szenen spielten sich als Horrorfilm in meinem Kopf ab, aber ich weiß, dass ich keine Wahl habe…“

Nobody is perfect!

Nicht jeder Jugendliche lebt die Folgen seines Perfektionismus in Form einer Essstörung, Depression oder chronischer Kopfschmerzen und Schlafstörungen. Aber fast jeder Jugendliche ist in irgendeiner Weise unzufrieden mit sich. Vielleicht gehört es auf dem Weg zum Erwachsenwerden dazu.

Medien haben einen enormen Einfluss auf die Selbstwahrnehmung Jugendlicher. Die wegretuschierten Unreinheiten im Gesicht, das Aufhellen der Zähne und dazu noch ein paar hübsche Filter – und schon kann man sich scheinbar fehlerfrei im Internet präsentieren. Daher ist der Gedanke, sich verändern zu wollen, längst keine Seltenheit mehr. Selbst wenn es viele nicht zugeben würden oder es gar nicht richtig wahrnehmen – Dass ein stetig anhaltender Druck unter Jugendlichen besteht, mit Klassenkameraden oder anderen Gleichaltrigen mithalten zu wollen, ist Gang und Gebe. Mit dem Druck hat jeder einzelne in unterschiedlich stark ausgeprägter Form zu kämpfen.

Doch wenn es uns allen so geht oder einmal ging, können wir vielleicht etwas Wahres an den Worten „Nobody is perfect“ finden. Wir alle finden etwas an uns auszusetzen. Doch ein glückliches Leben ist die Art von Leben, bei dem man nicht jede Sekunde des Tages zögert und grübelt, wie man sich selbst optimieren kann.

Beitragsbild: pexels.com

Von Reinickendorf bis Bochum, von Fulda bis Ottensen – überall schreiben Schülerinnen und Schüler Artikel über das, was um sie herum passiert. Jeder und jede aus ihrer eigenen Sichtweise, mit eigener Meinung und eigenem Schwerpunkt. Bei all den Unterschieden eint sie, dass sie mit ihrer Klasse an MEDIACAMPUS teilnehmen, dem medienpädagogischen Projekt der Funke Mediengruppe. Das erlernte Wissen wenden sie dann praktisch an, indem sie erste journalistische Texte schreiben. Auf funky können sie die Früchte ihrer Arbeit präsentieren.

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