Jamaika-Verhandlungen: Wie kann es jetzt weitergehen?

Christian Lindner
Ist Christian Lindner aus der Verantwortung geflohen oder hat er die Reißleine gerade noch rechtzeitig gezogen. Da gehen die Meinungen auseinander.

Die Jamaika-Sondierungsgespräche sind nach vier Wochen intensivsten Verhandlungen gescheitert. Die FDP ist ausgestiegen, da aus ihrer Sicht keine Einigung erreicht werden konnte. Ist Deutschland jetzt noch regierbar? Und wie wird es weiter gehen?

Von Antje Waldschmidt

Warum ist es passiert?

In den Sondierungsgesprächen sollten sich die vier möglichen Koalitionspartner CDU, ihre bayerische Schwesternpartei CSU, FDP und Grüne annähern und einen Konsens für die wichtigen Fragen der Zukunft des Landes finden. Klar war, dass es bei dieser neuen Kompromissregierung große Abstrichen geben würde, da die Parteien in ihren ideologischen Positionen weit auseinander liegen. Das insbesondere, was die politischen Ansichten in der Flüchtlings- und Klimapolitik betrifft. Trotz dieser bekannten, starken Differenzen haben alle Parteien den Auftrag zu den Jamaika-Sondierungsgesprächen, die die geschäftsführenden Kanzlerin Angela Merkel führt, angenommen. Doch nach vier Wochen intensiven Verhandlungen, erklärte die FDP am späten Sonntagabend die Sondierungsgespräche für gescheitert. Nun sind Neuwahlen im Gespräch.

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Gab es das schon mal?

In der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland hat es bereits mehrfach Neuwahlen gegeben – aber noch nie, ohne dass vorher eine Regierung im Amt war. Der Weg dorthin führte über die Vertrauensfrage. Diese wurde bereits von den ehemaligen Bundeskanzlern Willy Brandt (SPD), Helmut Kohl (CDU) und Gerhard Schröder (SPD) gestellt. Hierbei richtet der Bundeskanzler bei einer Regierungskrise den Antrag an den Bundestag, ihm das Vertrauen auszusprechen. Bei einer Abstimmungsniederlage führte der Bundespräsident die Auflösung des Parlaments herbei und leitet Neuwahlen ein.

Doch nach den derzeitig gescheiterten Jamaika-Sondierungsgesprächen liegt der Fall anders. Angela Merkel darf die Vertrauensfrage nicht stellen, da sie vom Bundestag noch nicht offiziell gewählt wurde. Seit der Bundestagswahl ist sie nur noch geschäftsführend im Amt. Derzeit bleibt für Neuwahlen nur die Möglichkeit der Parlamentsauflösung nach der Kanzlerwahl. Diese Initiative muss nach Art. 63 des Grundgesetztes vom Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier ausgehen. Dieser muss dem Parlament vorschlagen, Angela Merkel als Kanzlerin (wieder)- zu wählen. Wenn das im dritten Wahlgang scheitert, kann er Angela Merkel dennoch als Kanzlerin ernennen oder eben Neuwahlen herbeiführen. 

 

Wer ist dran schuld?

Der FDP-Chef Christian Lindner hat die Jamaika-Sondierungsgespräche folgendermaßen abgebrochen: „Es ist besser, nicht zu regieren, als falsch zu regieren“. Die FDP hat bereits in der Vergangenheit erfahren, was es bedeutet die Glaubwürdigkeit zu verlieren, und von den Wählern abgestraft und aus dem Parlament gedrängt zu werden. Dennoch spiegelt das Wahlergebnis den Willen des Volkes wider. Daraus folgt, dass es in der Pflicht der Parteien liegt, ihrer staatspolitischen Verantwortung nachzukommen, auch wenn die Regierungsbildung eine große Herausforderung darstellt.

Ob das Verhalten der FDP mit ihrem Rückzug aus der Kompromissregierung wirklich der Angst vor einer erneuten Abstrafung der Wähler wie im Jahr 2013 geschuldet ist oder vielmehr ein verantwortungsloser Alleingang des FDP-Chefs Lindners war, mit dem Kalkül auf Neuwahlen, die der Partei mehr Wähler bringen soll, wird sich zeigen. Der Demokratie ist das gleich. Beides schadet ihr gleichermaßen.

 

Wer profitiert davon?

In dem derzeitig gespaltenen, konfliktbeladenen Klima der deutschen Politik profitieren insbesondere die radikalen Parteien, wie die rechtspopulistische AfD von der politischen Unsicherheit und instabilen Lage im Land. Zum einen, weil es der AfD bei Neuwahlen die Stimmen verärgerter FDP-Wähler oder einen noch größeren Zulauf von Wählern rechts der Mitte bringen könnte. Zum anderen, weil derart populistische Parteien von erhitzten Stimmungen leben und das Scheitern gern dafür instrumentalisieren, dass die derzeitige Demokratie in der Krise steckt und es ihrer Meinung nach radikaler Kräfte bedarf.

 

Was sind die Optionen?

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier kann Angela Merkel trotz des Scheiterns der Koalitionsbildung als Kanzlerin nominieren, da ihre Partei den größten Block im Parlament bildet. Ihr bliebe dann jedoch nur eine schwache Minderheitsregierung, in der sie Allianzen mit der FDP oder den Grünen eingehen und einige Stimmen aus den anderen Fraktionen holen müsste, um Gesetze durchzubringen. Ein derart schwaches Bündnis wäre sowohl für Merkel als Kanzlerin wie auch für Deutschland neu. Die stabilere Option wäre die Neuauflage der großen Koalition, doch zu dieser ist die SPD auch nach dem Scheitern der Jamaika-Sondierungsgespräche nicht bereit. Sie will in der Opposition bleiben und plädiert auf Neuwahlen.

Neuwahlen sind die letzte Option. Diese Entscheidung liegt beim Bundespräsidenten. Dafür müsste er einen mehrheitsfähigen Kandidaten, sprich Angela Merkel, für die (Neu)-Wahl zum Kanzlerkandidaten vorschlagen. In bis zu drei Anläufen muss der mehrheitsfähige Kandidat gewählt und vom Bundespräsident binnen sieben Tagen ernannt werden – oder der Bundestag wird aufgelöst.

 

Wie geht’s weiter?

Die geschäftsführende Kanzlerin Merkel bleibt laut Art. 69 des Grundgesetztes im Amt, bis ein Nachfolger ernannt wird. Deutschland wird also nicht unregierbar, sondern vorerst bleibt alles beim Alten. Die Kanzlerin kann unbefristet weiter regieren, bis eine Entscheidung getroffen wird. Doch eine Entscheidung muss fallen, um das derzeitige Machtvakuum neu zu besetzen …

Wie diese Entscheidung aussehen wird, ist noch ungewiss. Gewiss ist einzig, dass der 19. November ein historischer Tag der deutschen Politik ist.

 

Titelbild: Lindner auf der Flucht. (c) Soeren Stache/dpa

Wir haben genug davon, dass die Geschichten immer nur von den Alten erzählt werden. Deswegen haben wir den Stift selbst in die Hand genommen, sind durch die Lande gezogen, haben Geschichten und Menschen gesucht, gefunden und alles aufgeschrieben, was uns untergekommen ist. Wir haben unsere Smartphones und Kameras gezückt und Fotos und Videos gemacht. Auf funky zeigen wir euch die Ergebnisse unserer Recherchen.

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