Human Rights Film Festival Berlin 2021: Die Kraft des Dokumentarfilms

Zwei Personen stehen auf einer Bühne auf der der Spruch "The Art of Change" steht
Im September fand das vierte Human Rights Festival in Berlin statt.

Klimawandel, Diskriminierung von Minderheiten, Menschenrechtsverletzungen: Seit Jahren bietet das Human Rights Film Festival eine Plattform zur filmischen Auseinandersetzung mit den drängenden Fragen dieser Zeit. Unter dem diesjährigen Motto „The Art of Change“ wurden vom 16. bis zum 25. September in Berlin insgesamt 40 Filme aus der ganzen Welt in Kinos und als Stream gezeigt. funky präsentiert Euch die fünf eindrucksvollsten Filme des Festivals.

Reportagen sind selten stimmungserhellend. Erst recht, wenn es um die Themen Menschenrechte und Umweltschutz geht. Dank des Klimawandels jagt eine Naturkatastrophe die nächste, Kriege um Ressourcen und Macht verwüsten ganze Landstriche, Frauen und Minderheiten werden unterdrückt und Menschen sind vielerorts auf der Flucht.

Dieser Status Quo lässt sich jedoch ändern – und das diesjährige Human Rights Film Festival präsentierte Geschichten von Menschen, die trotz der größten Widrigkeiten einen Wandel zum Besseren bewirken wollen. Doch kann ein Surf-Club in Bangladesch Mädchen wirklich nachhaltig fördern und bestärken? Kann sich eine Kleinbäuerin aus Malawi für mehr Gleichberechtigung der Geschlechter einsetzen und gleichzeitig gegen den Klimawandel kämpfen? Die mutigen und hoffnungsvollen Protagonisten beweisen: Es braucht keinen Reichtum, um Änderung zu bewirken. Aber Ausdauer und Mut sind von Nöten, wie diese fünf Filme zeigen.

The Ants and the Grasshopper

Die Willenskraft der Menschen findet sich in so vielen Reportagen des Human Rights Film Festivals wieder. Zum Beispiel in Anita, einer Kleinbäuerin aus Malawi, die mit Workshops in ihrem Dorf versucht, die Menschen von der Bedrohung durch den Klimawandel zu überzeugen und die Landwirtschaft ressourcenschonender zu gestalten. Gleichzeitig arbeitet sie mit den Mitgliedern ihrer Gemeinschaft daran, eine gerechte Arbeitsteilung zwischen Männer und Frauen einzuführen.

Anita wirkt stoisch und verständnisvoll zugleich. Trotz der vielen Schicksalsschläge, die ihr wiederfahrenden, lässt sie sich nicht entmutigen, dass Menschen ihr Verhalten ändern können. Dennoch musste auch sie erkennen: Ihre Handlungsmöglichkeiten sind beschränkt. Ihr Dorf allein kann den Klimawandel nicht aufhalten. Die meisten Emissionen werden von Industrieländern wie den USA und dort im Besonderen durch die konventionelle Landwirtschaft verursacht.

Deswegen reist sie in die USA, um dort auf Menschen zu treffen, die anders denken als sie. Anita sagt, sie habe eine besondere Gabe: Sie könne Menschen erreichen. Und so zieht sie durch mehrere Bundesstaaten, trifft konventionell und ökologisch arbeitende Bauern, hört zu und schildert ihnen ihre Lage in Malawi. Sie hofft, die US-Amerikaner von der Dringlichkeit zu überzeugen, mit der gegen die Klimakrise vorgegangen werden müsste.

Der Film „The Ants and the Grasshopper“ von Raj Patel ist das Portrait einer beeindruckenden Frau, die trotz aller Widrigkeiten nicht aufgibt. Sie lässt sich nicht unterkriegen von den privilegierten Weißen, die ihr erzählen, dass der Klimawandel nicht existiert und mit Unverständnis für ihre Sache reagieren. So inspirierend hoffnungsvoll die Protagonistin auch ist, am Ende macht dieser Film auch wütend: Wenn jemand wie Anita aus Malawi so viel bewirken kann, warum geschieht bei uns in Europa so wenig für den Klimaschutz?

Die Bundestagswahl hätte eine Klimawahl werden können – am Ende entschied sich die Mehrheit dann doch für den Fortbestand des Status Quo. Das ist nicht nur unfair gegenüber Aktivistinnen wie Anita, es spiegelt auch unsere Arroganz: Die Mehrheit in Deutschland denkt scheinbar immer noch, der Klimawandel würde uns nicht bedrohen, nur weil bei uns noch nicht eine Dürreperiode die nächste jagt oder ein steigender Meeresspiegel unsere gesamte Existenz bedroht.

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There once was an island

Letzteres ist für die Bewohner von Nukutoa mitten in den Weiten des Südwestpazifiks der Fall. Der Film „There once was an island“ von Briar March and Lyn Collie schildert auf bedrückende Weise die Not der Takuu, deren Zuhause vom Meer nach und nach verschlungen wird. Es ist erschütternd zu sehen, wie eine so nachhaltig lebende Gesellschaft am meisten unter dem von den Industrienationen der Welt verursachten Klimawandel zu leiden hat. Aufgrund der Treibhausgase, die beispielsweise wir in Deutschland zu Hauf verursachen, steigt weltweit der Meeresspiegel, dadurch werden die Flutwellen immer höher, welche die Küstenstreifen erodieren und die Gärten versalzen lassen. Die Lebensgrundlage der Takuu wird damit immer weiter zerstört.

Der Film begleitet drei der 400 Inselbewohner für mehrere Jahre und zeigt, vor welche Schwierigkeiten sie gestellt werden: Bleiben sie auf ihrer Insel, werden ihre Kinder vielleicht keine Zukunft mehr haben. Lassen sie sich von der Regierung von Bougainville umsiedeln, verlieren sie ihre einzigartige Kultur und Lebensweise und müssen sich den Zwängen des Kapitalismus unterwerfen. Bisher werden auf Nukutoa alle Ressourcen wie Ernte und Fisch gerecht geteilt, wird die indigene Religion praktiziert und traditionelle Pflanzen wie das riesenblättrige Pfeilblatt angebaut. Auf Bukan, der Insel, auf die die autonome Regierung von Bougainville die Takuu umsiedeln will, wäre das nicht möglich: Sie müssten ihren Lebensunterhalt als Kakaobauern oder Lohnarbeiter erwirtschaften, würden in den bereits herrschenden Konflikt um Land hineingezogen.

Dabei wäre eine Umsiedelung nicht die einzige Option. Über zwei Jahre forderten die Inselbewohner die Regierung auf, Wissenschaftler zu schicken, um zu erforschen, was mit ihrem Zuhause geschieht und wie es gerettet werden kann. Die australischen Wissenschaftler stellten fest, dass der hauptsächlich vom Westen verursachte Klimawandel Schuld an der Misere der Takuu ist – aber statt einer Umsiedlung wäre es günstiger und nachhaltiger, die Küste mit Deichen vor Erosion zu schützen und ihre Häuser auf Stelzen zu bauen, um sie vor den Flutwellen zu schützen. Bis heute ist jedoch kaum etwas passiert: Die Regierung hat weder die Mittel, die Bewohner zu evakuieren, noch um die Infrastruktur vor Ort auszubessern.

Und so hinterlässt auch dieser Film ein Gefühl des Unwohlseins: Während sich die Politiker in Deutschland darüber streiten, dass Arbeitsplätze durch den Ausstieg aus fossilen Brennstoffen verloren gehen könnten, versinkt eine Gesellschaft mit geradezu nicht vorhandenem CO2-Fußabdruck im Pazifik.

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As I Want

Doch der Klimawandel war nicht das einzige Thema des Festivals. Ein weiterer Schwerpunkt war die Stärkung der Rechte von Frauen. In „As I Want“ rückt Samaher Alqadi eine der Schattenseiten des arabischen Frühlings in Ägypten ins Licht: Während der Kundgebungen auf dem Tahrir-Platz am 25. Januar 2013 zum zweiten Jahrestag der Revolution kam es zu Gruppenvergewaltigungen von Frauen. Doch auch an anderen Tagen sind Frauen sexuellen Übergriffen auf der Straße ausgesetzt: In Demonstrationen für Demokratie und Meinungsfreiheit müssen Frauen Angst vor Vergewaltigungen haben, auf der Straße werden sie belästigt und angemacht – und wenn sie sich wehren, wird ihnen Gewalt angedroht.

Filmemacherin Samaher Alquadi hat genug: Von nun an lässt sie die Kamera laufen, wenn sie draußen unterwegs ist. Sie spricht Männer an, die ihr gegenüber übergriffig werden, erhebt ihre Stimme, geht in die Konfrontation. Die Demütigung, die den Frauen auf den Straßen Kairos wiederfahren, sind stellenweise nur schwer aushaltbar für den Zuschauer.

Alquadi dokumentiert in ihrem Film, wie sich die ägyptischen Frauen organisieren und zusammen gegen die Zwänge der patriarchalen Gesellschaft wehren. „As I Want“ zeigt einerseits, wie wichtig Frauen für die Demokratiebewegung in Ägypten waren und andererseits welchen Preis sie dafür zahlen mussten: Statt Strafverfolgung der Täter und Gerechtigkeit für die Opfer werden die von sexuellen Übergriffen betroffenen Frauen als unehrenhaft diffamiert und von der Gesellschaft ausgeschlossen. Dennoch macht ihr Film auch Hoffnung auf eine neue Generation an Frauen, die nicht mehr schweigend die Gewalt ertragen will, die ihnen die männlich geprägte Gesellschaft antut.

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Bangla Surf Girls

Ein Surf-Club, der auch Mädchen aufnimmt? Klingt aus deutscher Perspektive nicht nach etwas Besonderem. In Bangladesch ist es allerdings eine kleine Revolution – und bietet Mädchen aus armen, muslimischen Familien eine Alternative zur Zwangsheirat oder Verschickung. Der Film „Bangla Surf Girls“ von Elizabeth D. Costa begleitet Shob, Shuma und Ayesha aus Cox’s Bazar, die von einer Karriere als professionellen Surferinnen träumen und mithilfe ihres Surflehrers für ihre Rechte gegenüber Familie und Gesellschaft einstehen.

Eigentlich haben Mädchen in Bangladesch keine Zeit, um Kind zu sein. Sie müssen zum Lebensunterhalt der Familie beitragen, werden zum Arbeiten mit gefälschten Pässen ins Ausland geschickt oder früh von den Eltern zwangsverheiratet. Das Surfen gibt den Mädchen ein Stück Freiheit zurück, die Wettbewerbe verschaffen ein kleines Einkommen, die Essenspenden durch den Club besänftigen die Familie.

Es ist vielleicht einer der hoffnungsvollsten Filme des Festivals: Er zeigt, wie kleine Initiativen wie der Surf-Club große Veränderungen für Kinder wie Shob, Shuma und Ayesha bewirken können. Trotzdem gibt es Probleme: Sobald der Club kein Geld mehr hat und die Familien keine Essensspenden mehr erhalten, tauchen einige Mädchen nicht mehr für die Surfstunden auf. Sie sind nun angewiesen, in Fabriken zu arbeiten oder wieder Eier am Strand zu verkaufen, während ihnen zuhause häusliche Gewalt droht. Der Mut und die Willenskraft der Mädchen sind so beeindruckend wie ihre Lebensumstände beklemmend sind. Aber gerade deshalb ist „Bangla Surf Girls“ ein sehr emotionaler und inspirierender Film.

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Eatnameamet

Um Menschenrechtsverletzungen wie die Unterdrückung von Minderheiten zu beobachten, muss man nicht die EU verlassen. In Finnland werden die Sami, die letzte indigene Bevölkerung Europas, seit Jahrzehnten systematisch unterdrückt. Und obwohl sie in den letzten Jahren ein gewisses Maß an Rechten für sich einfordern konnten, ist ihr Kampf für ihre Lebensgrundlage und die Erhaltung ihrer Kultur nicht vorbei. Im Stillen versucht die finnische Regierung die Sami in ihrem eigenen Parlament durch das Einschleusen von Finnen mundtot zu machen, Projekte wie der Arctic Railway bedrohen die Lebensgrundlage der Sami, die Rentierhaltung. Anderenorts wird ihnen der Zugang zu Wald und Wasser beschränkt.

Jahrelang wurden Sami in Umerziehungslager versucht zu assimilieren. Gleichzeitig hat sich der finnische Staat die Kultur der Sami angeeignet, um für Touristen zu bewerben: Die bunte, traditionelle Kleidung und die Tänze der Sami werden in Shows von Finnen für Touristen aufgeführt, doch die Sami haben davon nichts. Wie kann so etwas bei uns in der EU möglich sein? „Eatnameamet“ ist ein aufwühlender Film, der wieder einmal beweist, dass selbst in der westlichen Welt Menschenrechte nicht für alle gleich gelten und die Unterdrückung von Minderheiten leider immer noch Thema ist.

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… und vieles mehr!

Natürlich wurden noch viele andere wichtige Geschichten aus allen Teilen der Welt vorgestellt: In Toxic Business geht es um europäische Chemiekonzerne wie Bayer, die in Kenia Pestizide und Dünger verkaufen, die aufgrund ihrer giftigen Inhaltsstoffe und Folgeschäden in Europa bereits verboten sind. Oder der Film La Vocera von Luciana Kaplan, der uns Marichuy aus Mexiko vorstellt, die als erste indigene Frau für die Präsidentschaftswahl kandidieren wollte und so einen Raum für die unterdrückte, indigene Bevölkerung des Landes schaffte.

Währenddessen begleitet Welcome to Chechenya David und Olga, die mit ihrem Verein homosexuelle Menschen aus Tschetschenien vor Folter und Tod retten, indem sie Asyl für sie im Ausland beantragen und ihre Flucht ermöglichen. Und schließlich erzählt Sírírí von Manuel von Stürler die Geschichte des Kardinals Dieudonné Nzapalainga und des Imams Kobine Lamaya aus der Zentralafrikanischen Republik, die versuchen, die Kluft zwischen Christen und Muslimen wieder zu schließen, nachdem Rebellengruppen im Kampf um Gold und Diamanten Hass und Gewalt zwischen den Religionen im Land schürten.

Das Human Rights Film Festival brachte auch in diesem Jahr wieder die unterschiedlichsten Themen und Regionen auf die Leinwand und damit ins Gespräch, die gerade durch Corona in unserem Diskurs untergegangen sind. Die Filmbeiträge haben jedoch bewiesen, dass die Verletzungen von Menschenrechten, Diskriminierung und Klimaschutz nicht an Aktualität und Wichtigkeit verloren haben – trotz der Pandemie. Und in einem privilegierten, reichen Land wie Deutschland sollten wir uns die Frage stellen, warum so wenig gegen den Klimawandel und für mehr Gleichberechtigung von Frauen und Minderheiten getan wird, während es Menschen ohne finanzielle Mittel und ohne ausreichende Bildung in Entwicklungsländern trotzdem gelingt, Veränderungen zu bewirken. Spätestens jetzt muss uns klar sein, dass es keine Ausrede mehr gibt, untätig zu bleiben – mindestens diese Botschaft sollten wir in unseren Alltag mitnehmen.

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