In vielen Berufen herrschen immer noch altmodische Rollenverhältnisse. Eine junge Auszubildende fragt sich, was ihr Make-Up damit zu tun hat, wie gut sie arbeitet.
Von Saari Pirr, Berufliche Schule Burgstraße, Hamburg
Als ich am Montagabend von meiner Arbeit zurück nach Hause ging, musste ich am Gänsemarkt feststellen: Die „besorgten Bürger“ wollen nun auch in Hamburg Merkel auf dem Scheiterhaufen sehen. Sie sind unter Anderem besorgt um den Erhalt von Traditionen und des guten alten Rollenbildes. Ihnen gefällt das Bild der fürsorglichen, adretten Hausfrau, die im Jahrestakt Kinder wirft, während der Mann mit seinem Geld Familie und Affären finanziert.
Aber seid doch nicht besorgt, liebe Bürger und AfD-Sympathisanten. Eure Forderung entspricht dem Status Quo – zumindest in meiner Ausbildung. Ja, auch im 21. Jahrhundert ist es vertraglich geregelt, ob eine Frau Lippenstift tragen muss oder nicht. Männern mit Transidentität ist es verboten, sich während der Arbeit zu schminken. Mitarbeiterinnen wird von der Geschäftsführung vorgeschrieben, in Bleistiftrock und High-Heels zu arbeiten. Auch wenn sich die Arbeitnehmerinnen dagegen wehren könnten, weil der Arbeitgeber nicht so weitreichende Eingriffe in den Stil des Arbeitnehmers vornehmen darf.
Ohne High Heels kein Trinkgeld
Zu allem Überfluss wird dieses Bild auch von Lehrerinnen und Lehrern in der Berufsschule propagiert. Anstatt es zu hinterfragen, wird kontrolliert, ob Schülerinnen Nagellack auf den Fingern tragen. Noch bedauerlicher: Aufgrund des Niedrig-Lohns fühlen sich viele Mitarbeiterinnen ohnehin schon gezwungen, mit freizügigeren Outfits ihr Trinkgeld zu verbessern.
Seit einem Jahr in meiner Ausbildung zur Friseurin ziehe ich ein erstes Resümee. Nach wie vor habe ich große Freude an dem Handwerk und der starken Bindung zum Kunden. Mit Erschrecken stelle ich aber fest, wie unzeitgemäß die Geschlechterrollen auch in diesem Gewerbe manifestiert sind. Natürlich gehört ein gepflegtes Äußeres der Beschäftigten zum Friseur-Gewerbe. Und manch einer mag sich nun sicher die Frage stellen, warum ich diese Debatte gerade in einem Berufsfeld beginne, das davon lebt, Schönheitsideale zu verkaufen.
In welchem Jahrhundert leben wir denn?
Seinen Salon mit uniformierten Püppchen zu dekorieren, hat für mich allerdings nicht mehr viel mit Schönheit zu tun. Das ist auch beim besten Willen nicht auf die bloße Bedingung eines gepflegten Äußeren zurückzuführen. Hier findet meiner Meinung nach ein zu großer Eingriff in das Privatleben der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter statt.
Mit solchen Vorschriften erhält man ein Rollenbild aufrecht, das längst der Vergangenheit angehören sollte. Wagen wir auch einen Blick in andere Berufsgruppen wie den der Flugbegleiterinnen und Flugbegleiter, Hostessen und der Beschäftigten aus Hotellerie und Gastronomie. Alleine die Berufskleidung propagiert hier ein Geschlechterbild, dass spätestens zusammen mit dem dritten Reich hätte untergehen müssen. An dieser Stelle nochmal ein Gruß an die „besorgten Bürger“!
Danke #MeToo !
Mit der #MeeToo-Debatte hat das Thema Sexismus im Berufsalltag endlich die geamte Gesellschaft erreicht. Jetzt müssen wir anfangen, auch in unserem Alltag systemische Schranken zu erkennen, die dem Sexismus im Alltag in die Hände spielen. Flugbegleiterinnen sind auch in Hosen hübsch. Und wenn Stars in Hollywood bei den Oscars ungeschminkt ein Zeichen setzen können, dann sind auch Friseurinnen imstande, ohne Lippenstift tolle Frisuren zu kreieren.
Ich habe das Glück, in einem Salon zu arbeiten, der relativ fortschrittlich mit diesem Thema umgeht: Hier dürfen alle ihren eigenen Stil ausleben, ohne dass sich die Kunden oder Vorgesetzte daran stören. In den meisten anderen Salons, egal welcher Preisklasse, ticken die Uhren noch anders. Den Impuls aus den Vereinigten Staaten sollten wir aufgreifen und uns im Beruf gegen dieses diskriminierende Geschlechterverständnis aussprechen.
Dieser Text ist beim Schreibwettbewerb „Schüler machen Zeitung“ in der Kategorie Gesellschaft ausgezeichnet worden.
Beitragsbild: pexels.com
In vielen Berufen herrschen immer noch altmodische Rollenverhältnisse. Eine junge Auszubildende fragt sich, was ihr Make-Up damit zu tun hat, wie gut sie arbeitet.
Von Saari Pirr, Berufliche Schule Burgstraße, Hamburg
Als ich am Montagabend von meiner Arbeit zurück nach Hause ging, musste ich am Gänsemarkt feststellen: Die „besorgten Bürger“ wollen nun auch in Hamburg Merkel auf dem Scheiterhaufen sehen. Sie sind unter Anderem besorgt um den Erhalt von Traditionen und des guten alten Rollenbildes. Ihnen gefällt das Bild der fürsorglichen, adretten Hausfrau, die im Jahrestakt Kinder wirft, während der Mann mit seinem Geld Familie und Affären finanziert.
Aber seid doch nicht besorgt, liebe Bürger und AfD-Sympathisanten. Eure Forderung entspricht dem Status Quo – zumindest in meiner Ausbildung. Ja, auch im 21. Jahrhundert ist es vertraglich geregelt, ob eine Frau Lippenstift tragen muss oder nicht. Männern mit Transidentität ist es verboten, sich während der Arbeit zu schminken. Mitarbeiterinnen wird von der Geschäftsführung vorgeschrieben, in Bleistiftrock und High-Heels zu arbeiten. Auch wenn sich die Arbeitnehmerinnen dagegen wehren könnten, weil der Arbeitgeber nicht so weitreichende Eingriffe in den Stil des Arbeitnehmers vornehmen darf.
Ohne High Heels kein Trinkgeld
Zu allem Überfluss wird dieses Bild auch von Lehrerinnen und Lehrern in der Berufsschule propagiert. Anstatt es zu hinterfragen, wird kontrolliert, ob Schülerinnen Nagellack auf den Fingern tragen. Noch bedauerlicher: Aufgrund des Niedrig-Lohns fühlen sich viele Mitarbeiterinnen ohnehin schon gezwungen, mit freizügigeren Outfits ihr Trinkgeld zu verbessern.
Seit einem Jahr in meiner Ausbildung zur Friseurin ziehe ich ein erstes Resümee. Nach wie vor habe ich große Freude an dem Handwerk und der starken Bindung zum Kunden. Mit Erschrecken stelle ich aber fest, wie unzeitgemäß die Geschlechterrollen auch in diesem Gewerbe manifestiert sind. Natürlich gehört ein gepflegtes Äußeres der Beschäftigten zum Friseur-Gewerbe. Und manch einer mag sich nun sicher die Frage stellen, warum ich diese Debatte gerade in einem Berufsfeld beginne, das davon lebt, Schönheitsideale zu verkaufen.
In welchem Jahrhundert leben wir denn?
Seinen Salon mit uniformierten Püppchen zu dekorieren, hat für mich allerdings nicht mehr viel mit Schönheit zu tun. Das ist auch beim besten Willen nicht auf die bloße Bedingung eines gepflegten Äußeren zurückzuführen. Hier findet meiner Meinung nach ein zu großer Eingriff in das Privatleben der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter statt.
Mit solchen Vorschriften erhält man ein Rollenbild aufrecht, das längst der Vergangenheit angehören sollte. Wagen wir auch einen Blick in andere Berufsgruppen wie den der Flugbegleiterinnen und Flugbegleiter, Hostessen und der Beschäftigten aus Hotellerie und Gastronomie. Alleine die Berufskleidung propagiert hier ein Geschlechterbild, dass spätestens zusammen mit dem dritten Reich hätte untergehen müssen. An dieser Stelle nochmal ein Gruß an die „besorgten Bürger“!
Danke #MeToo !
Mit der #MeeToo-Debatte hat das Thema Sexismus im Berufsalltag endlich die geamte Gesellschaft erreicht. Jetzt müssen wir anfangen, auch in unserem Alltag systemische Schranken zu erkennen, die dem Sexismus im Alltag in die Hände spielen. Flugbegleiterinnen sind auch in Hosen hübsch. Und wenn Stars in Hollywood bei den Oscars ungeschminkt ein Zeichen setzen können, dann sind auch Friseurinnen imstande, ohne Lippenstift tolle Frisuren zu kreieren.
Ich habe das Glück, in einem Salon zu arbeiten, der relativ fortschrittlich mit diesem Thema umgeht: Hier dürfen alle ihren eigenen Stil ausleben, ohne dass sich die Kunden oder Vorgesetzte daran stören. In den meisten anderen Salons, egal welcher Preisklasse, ticken die Uhren noch anders. Den Impuls aus den Vereinigten Staaten sollten wir aufgreifen und uns im Beruf gegen dieses diskriminierende Geschlechterverständnis aussprechen.
Dieser Text ist beim Schreibwettbewerb „Schüler machen Zeitung“ in der Kategorie Gesellschaft ausgezeichnet worden.
Beitragsbild: pexels.com