Meinung

Zündstoff | Ist Erben ungerecht?

Statue der Justiz
Wie gerecht ist das Erbrecht?

In einem Punkt sind sich wohl alle einig: Es wird immer Menschen geben, mit denen man sich uneinig ist. In dieser Rubrik diskutieren junge Menschen über Themen, die für ordentlich Zündstoff sorgen.

Gustav König und Knut Löbe, funky-Jugendreporter

Wenn es ums Geld geht, dann hört der Spaß bekanntlich auf – auch beim Erbe. Rund die Hälfte der Deutschen findet die Erbschaftsteuer zu hoch oder würde sie am liebsten direkt abschaffen. Wer was und wie viel erbt, hängt hierzulande meist von der eigenen Familiengeschichte ab: Wer schon viel Vermögen hat, der erbt laut dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in der Regel auch die höchsten Beträge. Dabei entscheidet der Verwandtschaftsgrad, welche Werte ohne Abzug an die Erben oder Beschenkten übergehen kann. Ehepartner können so bis zu 500.000 Euro steuerfrei erben, Kinder bis zu 400.000 Euro. Alles, was über diesen Freibetrag hinausgeht, wird besteuert. Dabei gilt: Je höher der Betrag des Erbes, desto höher auch der Prozentsatz. Ob das gerecht ist, darüber scheiden sich die Geister. Auch Gustav und Knut sind in diesem Zündstoff geteilter Meinung.

Pro (Gustav)

Nehmen wir einmal an, ein Mann stirbt und hat ein Auto, eine Uhr und 50 000 Euro zu vererben. Kein Testament. Nun stellt sich die Frage, wer dieses Erbe bekommen soll: sein einziger Sohn, der den Vater die letzten Jahre gepflegt hat? Der Bruder in Amerika, vor dreißig Jahren ausgewandert? Oder der Staat? Ich finde: der Sohn, ohne Wenn und Aber.

Oft heißt es ja, das Erbe vergrößere die Schere zwischen arm und reich, deswegen sei es sozial unfair. A-sozial sozusagen. Diese Behauptung impliziert aber, dass nur bereits reiche Menschen erben. Reiche werden also noch reicher durchs Erben. Das mag stimmen, wenn ein Millionär seine vermögenden Eltern beerbt, doch das dürfte kaum der Regelfall sein. Wer ein durchschnittliches Einkommen hat, kann mit einer geerbten Wohnung ein deutlich beruhigteres Leben führen. Ein solches Erbe kann über viele Jahre eine große finanzielle Sicherheit geben. Private und berufliche Entscheidungen hängen dann nicht mehr zwangsläufig vom Einkommen ab, Zukunftsängste verschwinden, Inflation und Arbeitslosigkeit sind dann zumindest kein alles bestimmendes Thema mehr.

Der Staat bekommt einen Teil von einem Kuchen ab, den er gar nicht backen wollte.

Natürlich ist die Erbschaftsfrage ein Wohlstandsproblem, denn nur wer ein Vermögen hat, kann es auch hinterlassen. Dass es im Sozialstaat Deutschland viel soziale Ungerechtigkeit gibt, steht außer Frage, doch das liegt nicht an der mutmaßlichen Ungerechtigkeit des Erbens, zumal ja auf ein Erbe ab einer Gewissenhöhe auch Erbschaftssteuer erhoben wird. . Das bedeutet konkret: für das Violoncello, das die Mutter seinerzeit für 120.000 Euro gekauft hat – von ihrem Nettogehalt mit einem Bankenkredit von damals 8% Zinsen – muss die Tochter nun 30.000 Euro zahlen, um es behalten zu dürfen. Das soll gerecht sein? Vererbtes Vermögen wird in Deutschland auf diese Weise doppelt besteuert, der Staat bekommt also einen Teil von einem Kuchen ab, den er gar nicht backen wollte. Das sollte eigentlich nicht nur die FDP so sehen.

Übrigens steht Deutschland im EU-Vergleich weit oben, was das Besteuern von Erbschaften und Schenkungen angeht. Bis zu 25 Prozent Erbschaftssteuer werden fällig, wenn das vererbte Vermögen über den oben benannten Freibetrag hinausgeht. In Norwegen, Österreich oder Schweden gibt es beispielsweise sogar gar keine Erbschaftssteuer. Ärgerlich ist doch zudem, dass Erbschaftssteuer-Einnahmen gar nicht unbedingt zur Bekämpfung sozialer Ungleichheit eingesetzt werden. Welche Steuer finanziert eigentlich die Bundeswehr? Die Rüstungssteuer? Nie davon gehört…

Bei der Erbschaftssteuer wird immer gefordert, dass ein hohes Erbe auch mit hohen Abgaben an den Staat einhergehen soll. Das ist ab einer gewissen Summe sicher auch eine richtige Forderung, aber ich wüsste da ganz spontan eine deutlich effektivere Maßnahme: Wie wäre es, einfach mal Großkonzerne wie Apple, Amazon und Co. mit mehr als 0,001 Prozent Umsatzsteuer zu „belasten?“ Da gäbe es bestimmt mehr zu holen als bei Familie Rossmann.

Fazit: Wie so oft im Leben kommt es auch hier auf die Vernunft der Erb*innen an.  Natürlich empfindet „man“ es als ungerecht, wenn ein 30-Jähriger ein Wohnhaus in München-Schwabing erbt und die sechs Wohnungen dann für je 1,5 Millionen Euro verkauft. Sollte aber eben jener Erbe die Mieter wohnen lassen, wo sie waren und vielleicht sogar zwei bis drei Prozent seines neuen Reichtums spenden, würde die Einordnung in „ungerecht oder gerecht“ wahrscheinlich anders ausfallen. Träumen wird man ja noch dürfen…

Contra (Knut)

Bevor wir zur ersten Frage kommen: Ja natürlich bin ich neidisch, ich werde nicht versuchen, das zu leugnen. Warum auch: Reiche Erben werden für den Rest ihres Lebens Champagner schlürfen, Polo spielen und sich aussuchen können, in welchem ihrer Badezimmer sie in ihrem Geld baden – Nicht das ich das wollen würde, aber neidisch auf finanzielle Sorglosigkeit bin ich natürlich trotzdem. Wer wäre das nicht? Ganz abgesehen davon geht es hier nicht um mich und auch nicht um dich, hier geht es um uns alle! Einige wenige bekommen sehr viel, die meisten bekommen sehr wenig. Klingt nicht nur ungerecht, ist es ganz offensichtlich auch.

Es ist nur fair, dieser Gesellschaft etwas mehr als die Krümel zurückzugeben.

Auf zur ersten Frage: Was wurde überhaupt geleistet, außer geboren zu werden? Wo sind die Verfechter*innen der Leistungsgesellschaft, wenn es ums Erbe geht? Ein paar millionenerbenden Von und Zus ist vermutlich schon jetzt der Kragen geplatzt, schade um ihre vergoldeten Manschettenknöpfe. Nun vielleicht haben sie recht, etwas haben sie geleistet: Sie wurden nicht enterbt. Hochachtung dafür, wenn man bedenkt, dass in der High Society immer noch Etikette gilt. An alle besorgten zukünftigen Millionenerben: Das hier sind keine Enteignungsfantasien. Keine Sorge, ihr werdet auch weiterhin mehr als nur einen Porsche fahren können, ihr sollt nur ein bisschen mehr abgeben von eurer Torte, für die eurer Großvater vielleicht ein gute Idee hatte, gebacken hat er sie mit Sicherheit aber nicht alleine. Er profitierte von eine Gesellschaft, die ihn unterstützt hat, vom Kindergarten bis zur Ausbildung zum Konditor. Soll heißen, alles baut aufeinander auf, ohne die Ideen anderer hätte der Großvater nicht das Backen gelernt – also ist es nur fair, dieser Gesellschaft etwas mehr als die Krümel zurückzugeben.

Genug der Angriffslust. Es mag harte Arbeit und eine einzigartige Idee in den Familienbetrieb geflossen sein, der soviel Reichtum geschaffen hat, dass für mehrere Familiengenerationen ausgesorgt ist. Und es stimmt auch, dass Steuern bereits zu Lebzeiten auf den Verdienst gezahlt wurden, allerdings vom Erblasser und eben nicht von den Erben!  Die sollen jetzt all das Vermögen bekommen, ohne etwas geleistet zu haben? Während Gewerkschaften für höheren Mindestlohn kämpfen und der Verdienst von Kindern auf den Hartz IV-Satz der Eltern angerechnet wird, werden Reiche immer reicher und reicher. Empören tun sich darüber wenige. Stattdessen lacht man voyeuristisch über Menschen mit wenig Geld, und wirft ihnen vor, nicht arbeiten zu wollen. Langzeitarbeitslose werden geächtet, Erben paradoxerweise geachtet. Und das nur, weil sie in der „richtigen Familie“ geboren wurden.

Mein Problem mit hohem Erbe ist, dass es erwiesenermaßen finanzielle und soziale Ungleichheiten verschärft. Nicht zu vergessen, dass dieses Land erst vor etwas mehr als 30 Jahren wiedervereinigt wurde – Ostdeutsche erhalten seltener und kleinere Erbschaften, weil es in der DDR deutlich schwieriger war, Vermögen aufzubauen. Und wie das beim Erbe so ist, werden solche Umstände von Generation zu Generation weitergereicht. Den wohlhabendsten zehn Prozent aller Erben fließt die Hälfte alles vererbten Vermögens in den Geldbeutel. Die verbliebenden 90 Prozent teilen sich die andere Hälfte der Erben in Deutschland.

Fazit: Ich finde, es braucht eine angepasste Erbschaftsteuer, die es verhindert, dass die Schere zwischen Arm und Reich auseinander geht, bevor das Tischtuch endgültig zerschnitten ist. Hohes Erbe muss noch höher besteuert werden!

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Wir haben genug davon, dass die Geschichten immer nur von den Alten erzählt werden. Deswegen haben wir den Stift selbst in die Hand genommen, sind durch die Lande gezogen, haben Geschichten und Menschen gesucht, gefunden und alles aufgeschrieben, was uns untergekommen ist. Wir haben unsere Smartphones und Kameras gezückt und Fotos und Videos gemacht. Auf funky zeigen wir euch die Ergebnisse unserer Recherchen.