Interview

Leben im buddhistischen Nonnenkloster: „Ich möchte frei von allem Leid sein“

Anagarika und Bhikkhuni Tirasani bei der Meditation
Anagarika Sirinanda lebt seit einem Jahr im buddhistischen Nonnenkloster Sirisampanno.

In der Rubrik „funky inspiriert“ kommen Menschen mit inspirierenden, alternativen Ideen und Lebensentwürfen zu Wort, die konträr zur Leistungsgesellschaft ein Leben im Sinne ihrer Überzeugungen führen.

Sarah Melziarek, funky-Jugendreporterin

Anagarika Sirinanda* lebt als Nonnenanwärterin im buddhistischen Nonnenkloster Sirisampanno („Vollkommenes Glück“) in der Nähe von Nienburg an der Weser. Das Kloster steht in der Theravada-Tradition, was bedeutet, dass hier nach der ältesten noch existierenden Schultradition des Buddhismus gelebt wird. Die 29-Jährige meditiert, arbeitet und lernt hier seit Januar 2021 gemeinsam mit Bhikkhuni Tisarani, ihrer Lehrerin, und dem Laienunterstützer Mano. Im Interview erzählt sie, wieso sie sich für ein Leben als Buddhistin entschieden hat und welches spirituelle Ziel sie verfolgt.

Wieso hast du dich entschieden, Buddhistin zu werden? Was hat dich überzeugt?
Was mich überzeugt hat, war die Klarheit der buddhistischen Lehre. Was Buddha lehrte, ist selbst überprüfbar. Es geht nicht um reinen Glauben, wie in vielen anderen Religionen, sondern die Lehre lässt sich direkt auf unser Leben im Hier und Jetzt beziehen. In jedem Menschen befindet sich die Fähigkeit, durch Training Erleuchtung zu erlangen und die wahre Reinheit des Herzens zu entfalten.

Was hast du vor deinem Leben im Kloster gemacht?
Ich habe mich um behinderte Menschen gekümmert. Davor habe ich Medizin studiert, habe das Studium aber abgebrochen.

Wie hat dich dein Weg ins Kloster Sirisampanno geführt?
Ich habe viele Jahre gemeinsam mit meinem Freund Daniel nach der Lehre Buddhas, dem Dhamma, gelebt. Und als das Dhamma für uns beide immer wichtiger wurde, sind wir schließlich in die Nähe des Muttodaya-Waldklosters gezogen, einem Mönchskloster im Frankenwald. Nach einiger Zeit haben wir beide beschlossen, dass wir ordinieren wollen. Daniel hat dort sein Training begonnen und ist inzwischen Novize. Für mich begann dann eine einjährige Suche, bis ich schließlich über verschiedene Empfehlungen im Kloster Sirisampanno gelandet bin.

Die Männer leben (…) nach 227, die Frauen nach 311 Regeln.

Anagarika Sirinanda

Es gibt verschiedene Vorstufen, bevor man Bhikkhu, buddhistischer Mönch, oder Bhikkhuni, buddhistische Nonne, wird. Dein aktueller Stand heißt „Anagarika“. Was bedeutet das?
Als Anagarika kleidet man sich das erste Jahr im Kloster weiß und lebt nach den Acht Silas, den grundlegenden Übungsregeln zur Entwicklung von Sittlichkeit. Nach ungefähr einem Jahr wird man dann Novize oder Novizin. Das ist man als Mann für ein Jahr, als Frau für zwei Jahre, bevor man schließlich die volle Ordination bekommt und Bhikkhu oder Bhikkhuni wird. Die Männer leben dann nach 227, die Frauen nach 311 Regeln.

Was beinhalten die 311 Regeln?
Ich selbst bin ja noch Anagarika, das heißt, mich betreffen die Regeln noch gar nicht. Sie gelten erst für die Bhikkhunis, die voll ordiniert sind. Die Regeln befassen sich beispielsweise mit dem Essen. Es gibt Regeln, die festlegen, wie man sich dem anderen Geschlecht gegenüber verhält. Andere Regeln definieren, wie der Umgang mit der Robe gehandhabt wird, die wir tragen. Das ganze monastische Leben wird durch die Regeln ziemlich genau vorgeschrieben. Dazu gehören natürlich auch ganz grundlegende Sachen dazu, wie beispielsweise, dass man keine Lebewesen töten darf oder nichts nimmt, was einem nicht gegeben wurde. Man darf zum Beispiel auch keinen Rasen mähen, muss auf Almosengang gehen und darf kein Geld benutzen. All diese Gebiete werden abgedeckt.

Manchmal schenken Menschen uns auch Lebensmittelpakete.

Anagarika Sirinanda

Bedeutet „Man nimmt nichts, was einem nicht gegeben wurde“, dass im Kloster vegan gelebt wird?
Nein, wir leben von dem, was die Menschen uns spenden, und nehmen alles mit Dankbarkeit an. Allerdings ist unser Speiseplan doch im Allgemeinen vegetarisch.

Und was kann man sich unter einem Almosengang vorstellen?
Die Nonnen benutzen kein Geld. Das heißt, wir leben komplett von Spenden. Buddha ging einmal am Tag ins Dorf, die Menschen konnten ihm dann Essen geben. Wir gehen zweimal in der Woche für den Almosengang auf den Nienburger Wochenmarkt. Dort bekommen wir dann Obst und Gemüse, manchmal auch Eier oder Käse. Und von diesem Essen ernährt sich die Klostergemeinschaft. Ich als Anagarika darf noch kochen, aber wir haben auch einen Unterstützer und Gäste. Wir bereiten das Essen zu und essen dann alle gemeinsam. Aber weil das nicht ausreichend ist, bekommen wir eine Biokiste geliefert. Diese wird von den Spenden, die dem Kloster zukommen, bestellt. Manchmal schenken Menschen uns auch Lebensmittelpakete. Ein bisschen was müssen wir auch hinzukaufen, aber das machen nicht die Nonnen, sondern die Unterstützer.

Wie sieht der Alltag im Kloster Sirisampanno aus?
Unser Prinzip ist eine konsequente Geistesschulung bei allem, was wir tun, ohne uns in Extreme zu begeben. Das bedeutet in der Praxis, dass wir weder in strenge Askese gehen noch werden wir nachlässig. Wir versuchen also, eine gute Mitte zu finden. So wechseln sich Zeiten der Meditation mit Zeiten der Arbeit und Zeiten des Studiums ab. Und dazwischen gibt es immer wieder Phasen des Rückzugs, damit die eigene Meditationspraxis vertieft werden kann. Diese variiert und kann drei bis vier Stunden oder in intensiven Phasen auch mal acht bis zehn Stunden dauern.

Was zählt zu Phasen des Arbeitens, was zu den Phasen des Studierens?
Das Arbeiten ist einfach alles, was dazugehört, um das Kloster aufrechtzuerhalten. Und das ist schon eine Menge. Wir sind gerade noch im Aufbau, das heißt, es fällt noch viel Arbeit an. Beispielsweise müssen Zimmer renoviert werden, im Garten musste ein kleines Holzhäuschen für die Gäste gebaut werden und auch der Vorgarten wurde gestaltet. Aber auch im Kloster ist für die, die noch nicht voll ordiniert wurden, das Kochen ein großer Teil der Beschäftigung. Auch Online-Sachen müssen erledigt werden, die Kommunikation mit den Gästen und die Website müssen gepflegt werden. Für ordinierte Nonnen gehört das Vorbereiten von Vorträgen zu ihrer Arbeit. Zum Studieren wiederum gehören die Lehrreden, die Buddha hinterlassen hat. Man beschäftigt sich damit und schaut, wie man die Lehre auf die eigene Praxis übertragen kann. Wer möchte, kann Pali lernen, die ursprüngliche Sprache Buddhas, sodass man auch die Originaltexte lesen und übersetzen kann.

Verlässt du das Kloster auch manchmal?
Ich fahre immer mal wieder zu meinen Eltern. Oder auch mal zu einem anderen Kloster. Im April bin ich für zwei Wochen im Muttodaya-Waldkloster, wo ich früher in der Nähe gelebt habe und wo Daniel seine Ordination zum Bhikkhu erhalten wird. Letzten Sommer waren wir sogar drei Monate im Kloster in den USA, wo Bhikkhuni Tisarani ordiniert wurde. So was kommt immer mal wieder vor, aber wir unternehmen keine touristischen Reisen, sondern besuchen andere Klöster.

Die Partnerschaft war zu Ende, als wir beschlossen haben, dass wir beide diesen Weg gehen wollen

Anagarika Sirinanda

Ist es noch möglich, die Beziehung zu Daniel weiterhin aufrecht zu erhalten?
Nein. Die Partnerschaft war zu Ende, als wir beschlossen haben, dass wir beide diesen Weg gehen wollen. Wir haben aber telefonisch Kontakt und tauschen uns aus. Aber es ist natürlich etwas ganz anderes als davor. Aber trotzdem besteht weiterhin eine Verbindung.

Aber den Kontakt zur Familie oder Freunden darf man nach den Regeln pflegen?
Ja. Gerade dass weiterhin ein guter Kontakt zur Familie besteht, ist wichtig. Das verändert sich natürlich immer ein wenig, aber ich habe sehr guten Kontakt zu meiner Familie. Mit den Freunden ist es etwas anderes. Ich habe schon noch Kontakt zu einigen, aber nicht mehr so eng wie zuvor. Das hat sich automatisch auseinandergelebt, da man einfach ein ganz anderes Leben führt und auch nicht mehr so viel Zeit für Freundschaften hat.

Wie haben deine Eltern reagiert, als du ihnen deinen Entschluss mitgeteilt hast, ins Kloster zu gehen?
Ganz begeistert waren sie nicht. Das war ein Prozess, das hat bei mir vom ersten Entschluss bis zu dem Moment, wo es dann so weit war, auch ein paar Jahre gedauert. Sie konnten sich über die Jahre daran gewöhnen. Inzwischen unterstützen sie mich und sagen, ihnen ist es wichtig, dass es mir mit meiner Entscheidung gut geht und dass ich mit dem Leben zufrieden bin, für das ich mich entschieden habe.

Gibt es ein übergeordnetes spirituelles Ziel, das du verfolgst?
Ich möchte frei von allem Leid sein. Das ist eine Idee, die von Anfang an für mich sehr stimmig war. Selbst wenn ich das momentan noch nicht in ganzer Tiefe verstehe, was das bedeutet und wie es umsetzbar ist, so merke ich doch, je länger ich diesen Weg gehe, dass es möglich ist, dem Ziel näher zu kommen.

Wie hat sich deine Innenwelt durch Meditation und Achtsamkeitspraxis verändert?  
Ich habe das Gefühl mein Leben klarer zu sehen, wacher durch den Alltag zu gehen und viel mehr von mir selbst und meiner Umwelt wahrzunehmen.

Wäre es deiner Meinung nach sinnvoll, für sich selbst eine neue Grundhaltung im Leben zu schaffen? Wie sähe diese idealerweise aus?
Ja, ein moralisches Leben zu führen und liebevoll mit sich selbst und seiner Umwelt umzugehen. Das wirkt sich positiv auf unser eigenes Leben aus, aber unser Handeln beeinflusst ebenso auch unsere Umgebung und Mitmenschen.

Gibt es etwas, dass du den Leserinnen und Lesern noch mitgeben möchtest?
Vielleicht schlicht und einfach: Gutes zu tun, Schlechtes zu unterlassen und das Herz zu reinigen.

*Bürgerlicher Name der Redaktion bekannt.

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