Meinung

Warum der Begriff „Rasse“ im Grundgesetz nichts zu suchen hat

Der Plenarsaal des Deutschen Bundestags
Der Begriff „Rasse“ sollte aus dem Grundgesetz gestrichen werden, da er impliziert, dass es unterschiedliche Menschenrassen gibt.

Seit mehreren Jahren wird nun schon heftig darüber diskutiert, das Wort „Rasse“ aus dem deutschen Grundgesetz zu streichen. Kritiker*innen finden: Der Begriff sei längst nicht mehr zeitgemäß, wecke starke Assoziationen mit der Zeit des Nationalsozialismus und sei aus wissenschaftlicher Sicht höchst problematisch. Eine Anpassung des Grundgesetzes wäre daher durchaus sinnvoll.  

Lisa Rethmeier, funky-Jugendreporterin

„Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden.“ So steht es im Artikel 3 des Grundgesetzes. Der Begriff „Rasse“ löst beim Lesen schnell ein unangenehmes Gefühl aus – er wird vor allem mit der NS-Zeit und menschenverachtenden Verbrechen verknüpft. Warum steht ein solch negativ konnotierter Begriff im Grundgesetz?

Als im Jahr 1949 das Grundgesetz beschlossen wurde, wollte man mit dem „Rasse“-Begriff ein deutliches Zeichen gegen den Rassenwahn der Nazis setzen. Die Formulierung mag gut gemeint gewesen sein, allerdings impliziert sie, dass es unterschiedliche Menschenrassen gibt. Heute wird der Begriff in einem anderen Kontext verstanden und löst bei vielen Menschen Unbehagen aus. 

Es gibt keine menschlichen Rassen

Schon seit Jahren gibt es daher Einwände gegen die „Rasse“-Formulierung. Wissenschaftlich ist es längst widerlegt, dass es so etwas wie eine menschliche Rasse gibt. 2019 forderten daher Wissenschaftler*innen in der sogenannten „Jenaer-Erklärung“, dass der Begriff aus dem Grundgesetz gestrichen wird. Johannes Krause war einer von ihnen, er ist Biochemiker mit dem Forschungsschwerpunkt Menschliche Evolution und setzt sich gegen den „Rasse“-Begriff beim Menschen ein. Er sagt, dass es Rassen in Deutschland nur bei Haustieren gebe.

Wenn keine Unterschiede in den Hautfarben existieren würden, wäre wahrscheinlich niemand auf die Idee gekommen, Menschen in Rassen einzuteilen. Dabei seien aber Menschen aus Ostafrika viel näher mit Europäer*innen verwandt, als mit Westafrikaner*innen, sagt der Biochemiker Johannes Krause. Eine Einteilung der Welt in Afrikaner*innen, Europäer*innen und Asiat*innen ist also falsch, da die genetische Diversität in Afrika viel höher ist als anderswo auf der Welt.

In den USA  bezeichnen sich Menschen selbstverständlich zu einer „Race“ zugehörig. Dort wird der Begriff aber, anders als in Deutschland, als sozialanthropologisches Konstrukt benutzt. Der Begriff „Rasse“ wird im Deutschen hingegen biologisch verwendet, z.B. im Sinne von Tierrassen. Im Englischen gibt es das nicht, dort werden diese als „breeds“ (Züchtungen) bezeichnet.

Grausame Verbrechen der NS-Zeit prägen den „Rasse“-Begriff

In Deutschland ist der „Rasse“-Begriff heutzutage stark durch die Verbrechen der Nationalsozialist*innen geprägt. Diese verfolgten eine radikale Rassenlehre und teilten die Menschen in „höhergestellte“ und „minderwertige“ Rassen ein. Auf der einen Seite stand der Arier: blond, blauäugig, gesund und stark. Sein Gegenbild war der Jude: der Propaganda nach dunkelhaarig, dunkle Augen, hinterlistig und faul. Auch Menschen mit Behinderungen oder Krankheiten gehörten der „minderwertigen“ Rasse an. Die Nationalsozialist*innen hatten die grausame Ansicht, dass die „minderwertigeren“ Rassen vernichtet werden müssen, weil sie sonst die Qualität der arischen Rasse abwerteten und sie so daran hindern würden, sich zu einer höheren Menschheit zu entwicklen. Die Umsetzung der sogenannten „Rassenhygiene“ erfolgte durch Eheverbote, Zwangssterilisationen, Zwangsabtreibungen und der Vernichtung „lebensunwerten“ Lebens. 

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Durch die weltweiten Proteste gegen strukturellen Rassismus ist die Debatte um den „Rasse“-Begriff erneut aufgeflammt. Neben Wissenschaftler*innen sprechen sich auch betroffene Minderheiten und Politiker*innen für eine Änderung des „Rasse“-Begriffes aus. Bis vor Kurzem schien auch alles auf eine Neuformulierung des Texts im Grundgesetz hinauszulaufen: Im November 2020 einigte sich die Regierung darauf, den Begriff „Rasse“ aus dem Grundgesetz zu streichen. Der letzte Änderungsvorschlag, mit dem sich viele Politiker*innen einverstanden zeigten, kam Anfang Februar von Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD). Es sollte von nun an heißen: „Niemand dürfe aus rassistischen Gründen benachteiligt oder bevorzugt werden.“ Allerdings ist die Gesetzesänderung dann doch gescheitert.

Die Gesetzesänderung scheiterte

Wie kam es dazu? Die Union stimmte der Änderung – sehr zum Ärger der SPD – doch nicht mehr zu. Sie wolle sich erst sorgsam überlegen, wie der Satz neu formuliert werden soll, und brauche dafür mehr Zeit, als es die aktuelle Legislaturperiode zulässt, so die Argumentation. Ihrer Meinung nach kann die Formulierung „aus rassistischen Gründen“ so verstanden werden, dass nur absichtliche Diskriminierungen verboten sind.

Ob „aus rassistischen Gründen“ eine optimale neue Formulierung ist, sei dahingestellt. Die Überzeugung aber, dass der Begriff „Rasse“ im Grundgesetz nichts zu suchen hat, sollten die meisten teilen. Was vor 70 Jahren mal eine angemessene Formulierung war, muss es heute schon lange nicht mehr sein. Im Grundsatzartikel 3 ist die Gleichheit aller Bürger*innen festgelegt. Es ist aber ein Widerspruch an sich, von Gleichheit zu sprechen und im selben Atemzug Menschen in Rassen einzuteilen. Die Politik sollte endlich handeln und nicht länger Zeit verstreichen lassen. Gerade vor dem Hintergrund weltweiter Anti-Rassismus-Debatten, ist es wichtig, ein Zeichen gegen Rassismus zu setzten. Eine Änderung des „Rasse“-Begriffes wäre ein Schritt in die richtige Richtung. Denn es gibt keine Rassen – es gibt nur Menschen. 

Wir haben genug davon, dass die Geschichten immer nur von den Alten erzählt werden. Deswegen haben wir den Stift selbst in die Hand genommen, sind durch die Lande gezogen, haben Geschichten und Menschen gesucht, gefunden und alles aufgeschrieben, was uns untergekommen ist. Wir haben unsere Smartphones und Kameras gezückt und Fotos und Videos gemacht. Auf funky zeigen wir euch die Ergebnisse unserer Recherchen.