Interview

Der Journalist Marcel Aburakia über Teppichreiter und das neue „Deutschsein“

Marcel Nadeem Aburakia ist regelmäßig beim Podcast "Knackische Welle" zu hören.
Marcel Nadeem Aburakia ist regelmäßig beim Podcast "Kanackische Welle" zu hören.
„Kanackische Welle“ heißt der Podcast, bei dem Marcel Nadeem Aburakia und sein Kumpel und Kollege Malcolm Ohanwe über alles quatschen, was Kanacken in Deutschland nun mal so beschäftigt. Die beiden Deutschen mit palästinensischen Wurzeln sind zum Vorbild vieler junger Migrant*innen und Migrantenkinder geworden. In einer Zeit, die mit Spannungen im rechten Raum überladen ist, ist es besonders wichtig, das Tabuthema „Migration und Rassismus“ auf den Tisch zu bringen. Wir haben mit Marcel Nadeem über seine eigene Haltung im Umgang mit Rassismus gesprochen.
Von Tessniem Kadiri, funky-Reporterin

„Kanackische Welle“ nennt sich dein Podcast, den du comoderierst. Was bedeutet der Begriff „Kanacke“ denn eigentlich?
Für mich ist ein „Kanacke“ in den meisten Fällen ein Mensch mit Migrationshintergrund, der oftmals türkische oder arabische Wurzeln hat und sich auch selbst als „Kanacke“ verstehen möchte. Die ursprüngliche Beleidigung wird also umgewandelt und man nimmt den Tätern so ihre Macht. Denn „Kanacke“ sein ist etwas Cooles und nicht negativ.

Auch, wenn du den Begriff cool findest, schreibst du bei bento.de, dass manche dich nicht so nennen dürfen. Wer darf dich nicht „Kanacke“ nennen und wieso?
Im Ursprung ist „Kanacke“ immer noch eine Beleidung. In manchen Fällen reproduziert man deswegen diese rassistischen Bilder, die mit der Ursprungsbedeutung gemeint waren. Positiv ist der Begriff also meistens nicht gemeint. Eine ABC-Anleitung habe ich für den Umgang mit dem Begriff natürlich nicht, aber grundsätzlich finde ich: Wenn du selbst nicht „Kanacke“ bist, dann verwende den Begriff einfach nicht. Es tut schließlich nicht weh, darauf zu verzichten.

Rassimus beginnt mit dem ersten Witz.

Marcel über Alltagsrassismus

Im gleichen Artikel schreibst du über deine persönlichen Erfahrungen mit dem Begriff „Kanacke“. Interessant ist die Zeile „…alle, die als Gastarbeiter nach Deutschland gekommen sind und doch nie wie Gäste behandelt wurden.“ Wie meinst du das?
In unseren Kulturen gilt die Regel: Der Gast wird wie ein König behandelt. Die letzten Jahre deutscher Geschichte zeigen uns jedoch, dass die Gesellschaft Gäste nicht willkommen heißt. Gastarbeiter wurden zuvor benötigt und waren billig. Mittlerweile sind sie in den Augen vieler eher zum Problem geworden.

Wie und wieso denkst du, hat sich die Rolle vom Gastarbeiter für den Wiederaufbau Deutschlands zum ungewollten, zu lang gebliebenen Gast weiterentwickelt?
Wir leben in einer rassistischen Gesellschaft. Nur weil keine Nazis mehr an der Macht sind, bedeutet das nicht, dass es keine Menschen mit demselben Gedankengut mehr in der deutschen Infrastruktur gibt. Auch in der Medienlandschaft fassen Personen mit Migrationshintergrund nur schwer Fuß. Seinen Ursprung hat das in der flächendeckenden Angst vor Menschen, die nicht aussehen wie man selbst.

Warum fanden du und Malcom es relevant, Themen wie den Hintergrund des „Kanacken“-Begriffs im Podcastformat zu besprechen?
Wir  beide sind Journalisten und haben gemerkt, dass in den bestehenden Strukturen unsere Themen und Sichtweisen nicht vertreten werden. Als Rezipienten hatten wir wiederum das Gefühl, dass wir bestimmte Filme sehen und Musiker hören wollen, die nicht gezeigt werden. Irgendwo mussten wir also Stellung beziehen und uns eine eigene Plattform aufbauen, da keine Abbildungsfläche für uns existierte. Stück für Stück bessert sich das, aber wir sind noch lange nicht an dem Punkt, an dem die Medien das erreicht haben, was sie repräsentieren sollten. Sie sollten nämlich ein Abbild der Gesellschaft sein. Einen Migrationsanteil von etwa 25 Prozent spiegelt die deutsche Medienlandschaft noch lange nicht wider.

Einer eurer Gäste war der Schauspieler Hassan Akkouch. Im Gespräch mit ihm kristallisierte sich der Gedanke heraus: „Kanacke“ oder „kanackisch“ sein, das ist zum Trend geworden. Die deutsche Kultur wird von ausländischen Sitten geprägt. Ist das deiner Meinung nach ein Problem, weil die deutsche Kultur verloren geht, oder müssen Bio-Deutsche den gesellschaftlichen Wandel akzeptieren?
„Kanacke sein“ und „Deutsch sein“ widerspricht sich ebenso wenig wie „Schwarz sein“ und „Deutsch sein“. Nur weil Menschen mit Migrationshintergrund in verschiedenen Domänen wortführende Positionen einnehmen, geht deutsche Kultur nicht verloren. Vielmehr wird dadurch eine neue Version vom „Deutschsein“ geschaffen.

Wie hast du als Teenager und junger Mann Rassismus erlebt?
Als Araber war ich immer Terrorist oder Teppichreiter, egal wo ich war. Alles, was jemals schlecht gelaufen ist, wurde immer auf meine Herkunft geschoben. Habe ich mal Mist gebaut, dann waren meine arabischen Wurzeln Schuld und ich war der Junge, der aufgrund seiner Herkunft ein hitziges Temperament hat. Von Mainstreammedien, Mitschülern und Lehrern wurde mir vermittelt, dass Araber und Muslime schlechte Menschen sind, die böse Sachen machen. Diese Stereotypen rund um den arabischen Teil meiner Identität habe ich oft einfach akzeptiert und als Realität wahrgenommen. Erst als ich erwachsen war habe ich meine Meinung gezielt reflektieren und ändern können.

Du hast gesagt, während der Schulzeit haben auch deine Lehrer ein stereotypisch negatives Bild auf dich projiziert. Wie verstehst du die Rolle von Lehrern im Kampf gegen den Rassismus?
Der unsensible Umgang meines und vieler weiterer Lehrer mit Kindern mit Migrationshintergrund ist absolut nicht zu verteidigen. Lehrer tragen mit die größte Verantwortung im Kampf gegen den Rassismus. In vielen Fällen sind die Kinder den Lehrern ausgesetzt. Das eurozentrische und rassistische Bild, dass der Rest der Welt stillstand während Europa sich weiterentwickelte, wird in der Schule weiterhin vermittelt. Lehrer sollten damit einen wesentlich reflektierteren Umgang pflegen, auch wenn ihnen dafür nicht die gesamte Verantwortung übertragen werden kann. Wenn ein biodeutscher Lehrer sein Studium durchläuft, bekommt er keine Rassismus-Schulung. Es sollte sehr viel mehr Sensibilität im Umgang mit Schülern mit Migrationshintergrund in das Studium dieses Berufs integriert werden. Ziemlich cool ist allerdings, dass uns immer mehr Lehrer schreiben, die unseren Podcast mit ihren Schülern durchgehen. Das zeigt mir aber auch, dass in Geschichtsbüchern und bestehenden Schullektüren diesbezüglich ein Vakuum besteht, denn es fehlt an Medien, die solche Sichtweisen darstellen.

Als Gast in einer anderen Podcastsendung erwähntest du, dass du dich selbst mehr als Araber siehst, als als Deutschen. Spielt da die Wahrnehmung anderer Menschen von deiner Person eine Rolle?
Ich glaube das haben meine Eltern für mich entschieden, weil ich zweisprachig aufgewachsen bin, häufig in Palästina war und mein Vater in meiner Erziehung eine dominante Rolle übernommen hat. Sobald ich in die Schule kam, habe ich angefangen, diesen Teil von mir zurückzustellen, da ich gemerkt habe, dass diese arabische Identität mich eher in Erklärungsnot und Schwierigkeiten bringt. Erst, nachdem ich mit dem Gymnasium und Studium fertig war, habe ich verstanden, wieso ich das eigentlich getan habe und habe wieder begonnen, zu diesem arabischen Teil in mir zurückzukehren.

Wo endet für dich persönlich der Spaß und wo beginnt der Rassismus?
Rassismus beginnt meines Erachtens nach mit dem ersten Witz. Dieses immerwährende Fremdsein, das man aufgrund seiner Herkunft fühlt und hört wird den meisten Zugezogenen oder den Kindern Zugezogener durch solche kleinen Witzchen übermittelt. Auch wenn man vielleicht, vor allem als junger Mensch, aktiv nichts für das fehlende Verständnis kann, ist und bleibt es dennoch rassistisch. Solche Witze wie „Kamelreiter und Teppichflieger“ habe ich als Kind viel zu oft zu hören bekommen. Sie unterstützen die Klischees von dummen Ausländern in niedrigen Positionen und dem gebildeten Deutschen in akademischen Berufen. In dem Moment, in dem man mit solchen Witzen in Kontakt kommt, lacht man vielleicht manchmal einfach oder ignoriert es. Witzig ist es deswegen nicht. Man ist einfach nicht nonstop auf Konfrontation aus.

Rassistisch nennen sich die meisten Menschen mit rechtsextremem Gedankengut trotz allem nicht gerne. Ein Beispiel ist auch der NSU-Rechtsextremist Ralf Wohllebende, der meinte, dass er nichts gegen Ausländer habe, allerdings gegen eine Politik, die den Zuwachs von Ausländern fördere. Warum entwickeln Menschen eine Abneigung gegenüber einer solchen Politik und im Umkehrschluss eine Abneigung gegen Ausländer?
Ich denke, dass viele Menschen in Deutschland nur Adolf Hitler mit Rassismus in Verbindung bringen. Rassismus ist so viel einfacher und handlicher. Der Typ auf der Straße, der dem „Kanacken“, der ihm entgegenläuft, einen komischen Blick zuwirft, hat auch rassistische Hintergedanken. Rechts sind nicht nur die, die mit gehobener Hand über das Feld laufen. Es sind viel mehr Menschen rassistisch, als man erwarten würde. Wenn dagegen nicht aktiv vorgegangen wird, verbreit sich solches Gedankengut weiter. Wieso Menschen überhaupt so denken, erschließt sich mir allerdings nicht wirklich. Meiner Meinung nach haben Ausländer Deutschland einiges mehr gebracht, als sie das Land gekostet haben.

Der deutsche Sicherheitsapparat ist definitiv nicht auf unserer Seite.

Marcel über das Vorgehen des BKA

Um uns nun konkret auf aktuelle Geschehnisse zu beziehen: Das BKA hat mehreren deutschen Medien zufolge Rassismus und rechtem Terror eine ganz neue Bedeutung gegeben. Einem aktuell zirkulierenden Bericht ist zu entnehmen, dass der Hanau-Anschlag zwar von rechtsextremer Natur ist, der Täter deswegen allerdings nicht rassistisch motiviert war, sondern sein Handeln auf seinen Glauben an Verschwörungstheorien zurückzuführen ist. Schließt du dich dieser Einstufung an?
Ich persönlich sehe die Tat als rechtsextrem an und ihn als rechten Terroristen. Ich bin schockiert, aber die Überlegungen des BKA kommen dennoch nicht allzu überraschend. Die Tat wird im momentan kursierenden Abschlussbericht (Anm. der Redaktion: dieser wurde vom BKA selbst nicht bejaht, von mehreren Mediengesellschaften jedoch publiziert) rechtsextrem genannt, er soll jedoch nicht rechtsextrem gewesen sein, da er in einer Fußballmannschaft mit Menschen mit Migrationshintergrund gespielt hat und man keine Videos auf seinem Handy gefunden hat. Diese Gründe hören sich für mich wie die 0815-Erklärung von Menschen an, die sagen: „Ich kann gar nicht Rassist sein, weil ich doch diesen einen schwarzen Freund in der Grundschule hatte.“ Das Manifest, das er geschrieben hat, wurde scheinbar übersehen. Aber das ist für mich Beweis genug.

Was für eine Botschaft würde eine solch endgültige Einstufung deiner Meinung nach senden?
Für Menschen mit Migrationshintergrund ist die Botschaft ganz klar: Der deutsche Sicherheitsapparat steht definitiv nicht auf unserer Seite. Alle Menschen sollten vor dem Gesetz gleich sein, aber Beispiele wie diese zeigen, dass wir das nicht sind. Ein Mensch, der muslimisch ist und eine Straftat begeht, ist direkt ein „muslimisch geprägter Mensch“ und kein Mensch, der eine Straftat begangen hat, die noch überprüft wird. Die Tat eines deutschen Rechtsterroristen hingegen wird genau hinterfragt und man berät sich, ob es denn auch wirklich eine rechtsradikale Tat gewesen sei. Es gibt ganz klare Positiv- und Negativ-Bilder. Die Botschaft, die mir besonders Leid tut, ist die an die Familien der Opfer. Durch so eine Einstufung würde die Tat relativiert werden. Es geht vor allem um die Wertschätzung der Menschen, deren Angehörige gestorben sind. Der Respekt, den sie verdienen, käme ihnen durch eine solche Entscheidung des BKA nicht zuteil.

Zu guter Letzt würde ich gerne wissen, was die Zukunft bereithält. Wie siehst du deine Rolle in der Medienbranche im Umgang mit Rassismus?
Ich glaube, dass die Aufklärung und Sensibilisierung wichtig ist. Bildfläche einnehmen und Bürgern mit Migrationshintergrund zeigen, dass es uns gibt. Rassismus werden wir nie gänzlich loswerden, aber wir müssen dafür kämpfen, uns langfristig als Medienmacher zu etablieren.

Meine Mutter sagt immer, dass ich spreche bevor ich nachdenke. Wahrscheinlich schreibe ich deswegen auch so gerne. Manchmal hat man so viele Gedanken im Kopf, dass die richtigen Worte länger brauchen, als der Mund sie ausspricht. Genau diese richtigen Worte versuche ich seit einiger Zeit bei funky zu Papier zu bringen. Zeitungen waren zwar nie mein Ding, aber als ich über die Jugendredaktion gestolpert bin, habe ich eine Zeitung gefunden, die ich auch gerne lese. Deswegen schreibe ich für funky: Damit ich morgens etwas anderes zum Lesen habe, als die Rückseite der Cornflakesschachtel.