Erfahrungsbericht ADS: „Das Angeln ist mein Rückzugsort“

Junger Mann steht mit Ruecken zur Kamera und einer Angel am Meer
Junger Mann steht mit Ruecken zur Kamera und einer Angel am Meer (c) Artem Bali via Pexels.com
ADS ist vielen ein Begriff, doch wie man sich fühlt, wenn man am Aufmerksamkeits-Defizit-Syndrom leidet, wissen nur Betroffene. Ein Erfahrungsbericht.
Von einem Zehntklässler*

Kennst du das auch? Du betrittst einen Raum und was du dort eigentlich machen wolltest, weißt du nicht mehr? Du unterhältst dich mit Freunden und dadurch, dass alle durcheinanderreden, bekommst du irgendwie nichts mit? Du versuchst dich zwanghaft zu konzentrieren, aber du wirst sofort von anderen Geräuschen und Bewegungen abgelenkt? Kennst du das auch?

Stell dir einmal vor, du hättest das jeden Tag, zu jeder Uhrzeit – so wie ich bis zur sechsten Klasse. Ich bin 16 Jahre alt, besuche die 10. Klasse und habe ein schweres Aufmerksamkeits-Defizit-Syndrom (ADS). Eine Krankheit, bei der zu viele Informationen in den Synapsen ankommen, und zwar dauerhaft. Damit ist es mir nicht möglich, mich auf eine Sache zu konzentrieren, einfach nur, weil ich alle anderen Informationen nicht ausblenden kann.

Schon immer ein „Draußen-Kind“

Von der Krankheit ADS hast du doch bestimmt schon mal gehört, oder? Denn so einen „Zappelphillip“ oder ein „Träumerle“ kennt doch schließlich jeder. Rechtschreibung war noch nie meine Stärke, aber auch andere Dinge wie Lesen oder Vokabelnlernen gehörten noch nie zu meinen Lieblingsbeschäftigungen. Ich war immer schon mehr ein „Draußen-Kind“, bin auf Bäumen herumgeklettert und hatte schon damals meine große Leidenschaft: das Angeln. Ich persönlich würde das als meinen Rückzugsort bezeichnen. Etwas, das ich besser konnte als viele andere. Etwas, bei dem meine Gedanken endlich Ruhe gegeben haben.

Jede Geräuschquelle, sei es das Getuschel in der Klasse, das Umblättern eines Buches, der rauschende Wind vor dem Fenster oder das Klicken eines Kugelschreibers, hat mich sofort abgelenkt.

Denn ich konnte mich nie so konzentrieren wie alle anderen, und aus Frustration bin ich oft unfassbar wütend geworden. Temperament liegt bei uns in der Familie, aber bei mir ist es damals ausgeartet. Denn jede Person, die mich damals aus meiner Sicht gestört hat, habe ich gehasst. Und das teilweise nur, weil die Person sich im Unterricht leise unterhalten hat. Denn ich wollte mich damals einfach so auf den Unterricht konzentrieren können wie alle anderen auch, aber das habe ich nur selten und nur für sehr wenige Minuten geschafft. Jede Geräuschquelle, sei es das Getuschel in der Klasse, das Umblättern eines Buches, der rauschende Wind vor dem Fenster oder das Klicken eines Kugelschreibers, hat mich sofort abgelenkt.

Eine Doku und der Psychiater lieferten Antworten

Daher ist es wahrscheinlich nicht überraschend, dass ich am Unterricht und an mir selbst regelrecht verzweifelte. Ich merkte dann in der sechsten Klasse, dass ich in der Schule Schwierigkeiten hatte, die die meisten von den anderen Schülern nicht hatten. Nachdem ich dann aber zufällig eine Dokumentation über ADS im Fernsehen gesehen hatte, wurde mir so einiges klar. Dass ich tatsächlich ADS habe, war nach einigen Tests beim Psychiater dann auch bestätigt.

Seither nehme ich Medikamente: sogenannte Psychopharmaka, in Form von Methylphenidat, euch wahrscheinlich besser bekannt unter dem Namen Ritalin. Da Methylphenidat falsch dosiert sehr gefährlich sein kann und auch als Lern- und Partydroge missbraucht wird, hat dieses Medikament leider einen sehr schlechten Ruf. Doch ich als Betroffener, der dieses Medikament braucht, bin sehr froh, dass es das gibt.

Es geht aufwärts

Als ich dann die Medikamente bekommen habe, wurde mein Leben viel geordneter. Ich bekam im Unterricht mehr mit und konnte mich jetzt endlich auf eine Sache konzentrieren und die anderen lästigen Geräusche ausblenden. Doch ein Problem gab es noch. Da die Medikamente nur bis kurz nach der Schule wirkten, hatte ich ein riesiges Problem mit den Hausaufgaben. Und dadurch gingen meine Noten in den Keller.

Ich wechselte deshalb in der siebten Klasse auf eine kleine Ganztagsschule. Dieser Wechsel war für mich ein Neuanfang, der sehr gut gelungen ist. Denn auf dieser Schule gab es kaum noch Probleme und meine schulischen Leistungen sind trotz ADS bis zum jetzigen Zeitpunkt konstant.

* Name der Redaktion bekannt.

Beitragsbild: Artem Bali via Pexels.com

Von Reinickendorf bis Bochum, von Fulda bis Ottensen – überall schreiben Schülerinnen und Schüler Artikel über das, was um sie herum passiert. Jeder und jede aus ihrer eigenen Sichtweise, mit eigener Meinung und eigenem Schwerpunkt. Bei all den Unterschieden eint sie, dass sie mit ihrer Klasse an MEDIACAMPUS teilnehmen, dem medienpädagogischen Projekt der Funke Mediengruppe. Das erlernte Wissen wenden sie dann praktisch an, indem sie erste journalistische Texte schreiben. Auf funky können sie die Früchte ihrer Arbeit präsentieren.