72 Stunden offline – ein Selbstversuch

Jugendliche am Smartphone (Pexels)

Smartphones und ständige Erreichbarkeit sind für Jugendliche selbstverständlich geworden. Doch wie sieht ein Leben offline aus?

Von Laurina Schwarzer, Klasse 8a, Berlin International School

Zu meinem zehnten Geburtstag habe ich ein Smartphone geschenkt bekommen. An mein Leben vor dem Smartphone kann ich mich schon fast nicht mehr erinnern. Jetzt mit fast 14 Jahren habe ich mich entschlossen, einen Selbstversuch zu starten.

Verrückt, aber ich habe mich entschieden, drei Tage auf mein Handy zu verzichten. Das ist eine Entscheidung, über die sich wahrscheinlich alle Eltern freuen und die alle Gleichaltrigen fürchten werden. Ich war mir nicht sicher, ob ich es durchhalten würde. Daher legte ich mit meiner Mutter klare Regeln fest. Sie war natürlich sofort von der Idee begeistert. 72 Stunden ohne Handy – unvorstellbar! Wie sollte ich den Kontakt zu meinen Freunden aufrecht halten? Spontane Verabredungen, googeln, Anrufe – all das würde in dieser Zeit nicht möglich sein. Trotz aller Bedenken startete ich das Experiment.

Tag 1: Stress pur

Morgens stand ich auf und ging ins Wohnzimmer, um mein Handy von der Ladestation zu holen und das Wetter zu checken. Doch dann fiel es mir wieder ein: ab heute für drei Tage kein Handy. Woher sollte ich wissen, was ich anziehen soll, wenn ich das Wetter nicht kannte? Die Enttäuschung war groß. Schon in den ersten Minuten des Experiments überkam mich Unsicherheit. Ich wusste nicht, ob meine Freunde schon vor der Schule etwas geschrieben hatten. Wo würden sich alle treffen? Hatte noch jemand eine Frage zu den Hausaufgaben? Oder hatte ich vielleicht etwas vergessen mitzunehmen, an das ich durch mein Handy erinnert worden wäre? So viele Fragen, doch vorerst keine Antwort. Ich kam zur Schule und glücklicherweise traf ich alle auf dem Hof. Immer wieder griff ich in der Jackentasche nach meinem Handy, aber da war nichts. Meine Freunde redeten über die Geschehnisse des Morgens, die letzten Neuigkeiten aus den Chats, aber immerhin hatte ich nichts wirklich Wichtiges verpasst. Zumindest bis zu diesem Zeitpunkt.

Den ersten Schultag hatte ich geschafft. Ich wartete vor der Schule auf meinen Vater. Der fuhr im Auto an mir vorbei und ich lief hinterher. Als ich am Ende der Straße angekommen war, sah ich ihn wenden und wieder zurück zum Schultor fahren. Der erste Moment der Verzweiflung war da. Ich war total durch den Wind. Normalerweise hätte ich in so einem Moment meinen Vater angerufen und gesagt, wo ich war. Doch ohne mein Handy rannte ich die Straße wieder zurück, um mich dann winkend und rufend bemerkbar zu machen und nicht ein weiteres Mal von ihm übersehen zu werden. Gestresst von dem ersten Tag ohne mein geliebtes Handy, hätte ich mir abends am liebsten eine weitere Folge von Vampire Diaries angesehen. Die Serie war doch gerade so spannend. Wie sollte ich das bloß aushalten? Stattdessen räumte ich mein Zimmer auf und beendete diesen eigenartigen Tag mit Lesen im Bett.

Tag 2: Alles könnte so einfach sein…

Meine Freundinnen und ich planten seit einigen Tagen, am kommenden Freitag ins Kino zu gehen. Ich wusste aber gar nicht, ob und wann die Verabredung stattfinden würde. Denn ich war nicht im Chat. Ich konnte auch keinen Einfluss auf Uhrzeit und Ort des Treffens nehmen. In der Schule fragte ich meine Freundinnen, ob schon etwas geplant war, aber irgendwie bekam ich keine brauchbare Antwort, weil sie noch nichts Genaues ausgemacht hatten. Ich wartete auf eine Entscheidung.
Später am Tag besuchte ich eine Freundin. Diese Verabredung hatte ich vor der „handyfreien“ Zeit ausgemacht. Doch nun musste ich ohne Google eine Adresse suchen. Zum ersten Mal nutzte ich einen Stadtplan. Ich fühlte mich, als wäre ich eine Person, die ich noch vor ein paar Stunden in meinem Geschichtsbuch auf einem Foto gesehen hatte (Wir beschäftigten uns gerade mit der amerikanischen Revolution). Das Treffen mit meiner Freundin fand schließlich mit einigen Umwegen statt.

Die Spanisch-Hausaufgabe stellte mich noch am gleichen Abend vor die nächste Herausforderung. Die Übersetzung eines Wortes dauert mit Google vielleicht drei Sekunden, aber mit einem Wörterbuch, das ich glücklicherweise besaß, brauchte ich bis zu drei Minuten.
Den Tag beendete ich mit einer schlimmen Erkenntnis: Ich merkte, dass ich auf Snapchat meine Streaks, also die Reihe von Bildern, die man mit seinen Freunden hin und her schickt, um Punkte zu bekommen, verlieren würde. So ein Mist! So entschloß ich mich dann schnell, meiner Schwester meine Streaks zu überlassen. Dann kam mir auch noch der Gedanke, dass Storys bei Snapchat nur 24 Stunden online sind. Das hieß dann wohl für mich, jede einzelne davon zu verpassen. Jetzt wollte ich echt mein Handy wieder haben. Doch ich wollte auch durchhalten.

Tag 3: Außenseiter oder?

In der Schule erfuhr ich, dass das Treffen mit meinen Freundinnen nicht stattfinden würde. Ich weiß bis heute nicht wirklich, warum, aber ich konnte es auch nicht beeinflussen, obwohl ich mich so sehr darauf gefreut hatte. Wahrscheinlich hatten die anderen es nicht geschafft, sich im Chat zu einigen. Ich verstand nicht, warum wir es nicht einfach in der Schule nochmal besprachen. Irgendwie sagte keiner mehr etwas dazu. Vielmehr waren in den Pausen schon neue Themen aus Chats aktuell. Ich war aber nicht informiert und es fiel mir von Tag zu Tag schwerer, den Themen zu folgen. Anfangs fragte ich noch: „Wer hat das geschrieben? Was hat sie geantwortet? Wo waren die? Wen meinst du?“. Irgendwann wurde es mir aber zu anstrengend und ich hörte nur noch zu. Ich fühlte mich wie ein Außenseiter.

Abends machte ich entspannter als sonst meine Hausaufgaben. Ich merkte, dass ich viel schneller fertig war. Sonst hatte ich zwischendurch mit meinen Freunden gechattet.
An diesem Abend war ich außerdem fest mit meiner Freundin zum Telefonieren verabredet, um eine Hausaufgabe zu besprechen. Sie rief mich pünktlich an, aber ich war noch beim Essen. Ich rief sie zurück, da konnte sie gerade nicht. Mit dem Handy hätten wir uns geschrieben: „Ich kann gerade nicht.“ „Melde mich in 5 Minuten.“ Ohne Handy klappte es erst beim dritten Anruf. Ich wusste, am nächsten Tag würde ich mein Handy wieder einschalten dürfen. Dann wäre alles wieder, wie es vorher war.

Tag 4: Der Tag danach

Das Experiment war vorbei. Mein Drang, zum Handy zu greifen aber auch. Ich fühlte mich entspannter und weniger unter Druck. Mir fiel auf, dass ich ohne Unterbrechungen meine Hausaufgaben gemacht hatte und dass ich mit meiner Freundin intensivere Gespräche geführt hatte, ohne ständig auf mein Handy zu schauen. Obwohl ich zu Beginn des Versuchs ohne mein Handy gestresst und unsicher war, merkte ich jetzt wie viel ruhiger und entspannter ich ohne mein Telefon geworden war.

Insgesamt kann ich jedem dazu raten, ein paar Tage auf das Handy zu verzichten. Es war eine Erfahrung, die mir gezeigt hat, welche Erleichterung und Hilfe die Nutzung des Telefons sein kann, aber auch, wie viel Zeit wir in unserer Freizeit oftmals unnötigerweise am Handy verbringen. Ist es nicht eher so, dass die ständige Ablenkung durch das Smartphone ein Stressfaktor ist, uns abhängig macht und uns Zeit raubt, in der wir miteinander reden könnten? Heute versuche ich bewusster zu entscheiden, ob es wirklich notwendig ist, immer erreichbar zu sein. Trotzdem kann ich mir ein Leben ohne Handy nicht mehr vorstellen!
Du vielleicht?

Beitragsbild: pexels.com

Von Reinickendorf bis Bochum, von Fulda bis Ottensen – überall schreiben Schülerinnen und Schüler Artikel über das, was um sie herum passiert. Jeder und jede aus ihrer eigenen Sichtweise, mit eigener Meinung und eigenem Schwerpunkt. Bei all den Unterschieden eint sie, dass sie mit ihrer Klasse an MEDIACAMPUS teilnehmen, dem medienpädagogischen Projekt der Funke Mediengruppe. Das erlernte Wissen wenden sie dann praktisch an, indem sie erste journalistische Texte schreiben. Auf funky können sie die Früchte ihrer Arbeit präsentieren.

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