Meinung

Zündstoff | Wie vertretbar sind Tierversuche?

Tierversuche für medizinische Forschungszwecke? Ein ethisches Dilemma.
Tierversuche für medizinische Forschungszwecke? Ein ethisches Dilemma.

In einem Punkt sind sich wohl alle einig: Es wird immer Menschen geben, mit denen man sich uneinig ist. In dieser Rubrik diskutieren junge Menschen über Themen, die für ordentlich Zündstoff sorgen. In diesem Beitrag geht es um das ethische Dilemma rund um Tierversuche.

Versuche an Tieren sind ohne Frage grausam und verletzen das Tierwohl. Doch in Deutschland dürfen Tierversuche für bestimmte wissenschaftliche Zwecke angewandt werden: für die Prüfung von Arznei- und Pflanzenschutzmitteln, Lebensmitteln und Bedarfsgegenständen. Derartige Versuche sind für die Entwicklung von Kosmetika nicht zwingend notwendig, was durch die Mengen an Kosmetiklabeln deutlich wird, die explizit auf Tierversuche verzichten. Label und Aufschriften wie „vegan“ und „animal cruelty free“ oder die Liste an tierversuchsfreien Unternehmen der Tierschutzorganisation PeTA, macht es Käufer*innen leichter, den Überblick zu behalten.

Doch wo liegt die Grenze bei der Entwicklung von Medikamenten? Ist es moralisch, Tiere für Forschungsexperimente einzusetzen? Wenn Tierversuche dazu beitragen sollen, menschliches Leid zu reduzieren oder zu verhindern, gelangt man in ein ethisches Dilemma, in dem zwischen tierischem und menschlichem Leid und Wert abgewogen werden muss.

Unterm Strich muss gerechtfertigt werden, Tierversuche zum Wohle der Menschen durchzuführen. Gesellschaftlich ist das sicherlich ein heikles Thema: Je nachdem, wer gefragt wird – etwa Tierschützer*innen oder Mediziner*innen – fallen die Antworten wohl vielfältig aus. Wo die Ansichten auseinandergehen und welche Grenzen es gibt, greifen Lena und Matheo aus der Jugendredaktion in unserer Rubrik Zündstoff auf.

PRO: Der Wert eines Menschen ist höher als der eines Tieres

Ein Verzicht auf Tierversuche bedeutet, auf die mögliche Behandlung unheilbar kranker Patient*innen zu verzichten. Die Forschung ist notwendig, um Natur und Umwelt zu begreifen. Erst aus diesen Erkenntnissen entstehen dann Ideen für die Medizin: Denn was Tiere krank macht, schadet häufig auch dem Menschen.

Leider gibt es in der Medizin keine Dummy-Puppen wie im Straßenverkehr. So müssen unweigerlich Wirkstoffe an Tieren probiert werden, um mögliche Nebenwirkungen am Menschen einschätzen zu können. Natürlich lassen sich durch Tierversuche keine absoluten Erkenntnisse für den menschlichen Organismus ablesen, doch immerhin 70 Prozent der Nebenwirkungen können vorhergesagt werden. Ohne die Tierversuche müssten riskante Medikamente direkt am Menschen erprobt werden. Kurz: Ohne Tierversuche ließen sich keine neuen Arzneimittel entwickeln.

In Deutschland dürfen Wissenschaftler*innen nur dann Versuche mit Tieren durchführen, wenn sie für die Klärung einer bislang ungeklärten Fragestellung unverzichtbar sind. Es gibt viele Beispiele dafür, dass Versuche an Tieren dann zu neuen medizinischen Behandlungsmethoden geführt haben, wie zum Beispiel Organtransplantationen, Krebsbehandlungen oder die Impfstoffherstellung. Tierversuche sind zwar keine optimale Lösung für die Erforschung von Medikamenten und Behandlungsmethoden, doch leider zwingend notwendig, um Versuche an Menschen zu vermeiden.

Lena Enders, funky-Jugendreporterin

CONTRA: Das Leid der Tiere ist unvertretbar

Auch Tiere haben Rechte! Allein das Tierwohl sollte Grund genug sein, Tierversuche als moralisch verwerflich zu betrachten. Zumal  die übrigen 30 Prozent der Daten aus Tierversuchen keinen übertragbaren Erkenntniswert für medizinische Behandlungsmethoden für Menschen haben, was wiederum Leid bedeutet, dass den Tieren umsonst zugefügt wird. Ganz zu schweigen von der Haltung und den Lebensbedingungen in Tierversuchslaboren: die Tiere erleben keine Zuneigung, dafür Einsamkeit, Enge, grausame Versuche und oft unzureichende medizinische Versorgung vor und nach den Versuchen. Es gibt keine glücklichen Tiere in Laboren.

Nach wissenschaftlichen Kenntnissen steht fest: Wirbeltiere haben ein Schmerzempfinden, das mit dem des Menschen vergleichbar ist. Steht ein Tier entwicklungsgeschichtlich nah zum Menschen, kann davon ausgegangen werden, dass Schmerzen nicht nur wahrgenommen, sondern auch subjektiv empfunden werden. Misst man allen Lebewesen denselben Wert zu, gibt es keine moralische Rechtfertigung für Versuche an Tieren.

Heutzutage gibt es gewinnbringende Alternativen zu Tierversuchen: Zellkulturen, die Tieren entnommen werden, können vermehrt werden und teilweise jahrelang im Kühlschrank gelagert werden. An ihnen können genetische Veränderungen, zum Beispiel für die Krebsforschung, untersucht werden.

Matheo Berndt, funky-Jugendreporter

Misst man Tieren und Menschen den gleichen Wert bei, bedeutet das ein komplettes Umdenken im Umgang mit Tieren. Denkt man diesen Gedanken weiter, bedeutet das auch einen Verzicht auf Tierprodukte und eine artgerechte Nutzung und Haltung von Tieren.

Jeder Tierversuch bedeutet also ein Abwägen zwischen dem Leid für das Tier und dem Erkenntnisgewinn und eventuellen Nutzen für den Menschen. Zellkulturen allein machen aufgrund ihrer fehlenden Organe Tierversuche nicht gänzlich überflüssig. Diese Alternative ist zwar günstiger und respektiert das Tierwohl, doch laut einigen Wissenschaftler*innen sind Tierversuche trotzdem unverzichtbar.

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Wir haben genug davon, dass die Geschichten immer nur von den Alten erzählt werden. Deswegen haben wir den Stift selbst in die Hand genommen, sind durch die Lande gezogen, haben Geschichten und Menschen gesucht, gefunden und alles aufgeschrieben, was uns untergekommen ist. Wir haben unsere Smartphones und Kameras gezückt und Fotos und Videos gemacht. Auf funky zeigen wir euch die Ergebnisse unserer Recherchen.