Interview

Kurzfilm „Jung Fragil“: Eine Generation auf der Suche

Der Kurzfilm "Jung Fragil" von Joscha Bongard thematisiert Freundschaft, Liebe und Sexualität.

Drei junge Menschen sitzen auf einer Mauer in der Sonne.
Der Kurzfilm „Jung Fragil“ will zeigen, dass es nicht die eine Form von Männlichkeit gibt.
Lena Enders, funky-Jugendreporterin
Regisseur Joscha Bongard im Portrait.
Regisseur Joscha Bongard Foto: D. Zeymer – von Metnitz

Im Geflecht der sich ändernden Geschlechterrollen wird Leonid von seinem Tinder-Date Leyli ermutigt, seine eigene Definition von „Männlichkeit” zu leben. Leonid ist ein unsicherer junger Mann, der durch vertraute Gespräche mit seinem Freund Max und der selbstbewussten Leyli reift. Regisseur Joscha Bongard zeigt in seinem Kurzfilm Begegnungen, die Mut machen und regt dazu an, Liebe, Sexualität und Rollenbilder zu reflektieren. Im Gespräch erzählt er, wie der Film Perspektiven auf die Themen Freundschaft und Männlichkeit verändert und wie Rollenbilder weitergedacht werden können.

Joscha, wie kam es zu „Jung Fragil“? Welches Anliegen bearbeitet der Film?
Mein Freund, Co-Autor und Producer Felix Schreiber und ich haben uns zehn Tage auf Mallorca zurückgezogen und gebrainstormt, was uns aktuell beschäftigt. Hochgekommen sind dann folgende Fragen: Wie steht es in unserer Generation um die Beziehung zwischen Mann und Frau? Wie sehen wir junge Menschen den aktuellen Stand von Gleichberechtigung? Wie schaffen wir es, alte Rollenbild-Narrative auch auf der Leinwand aufzubrechen? Eines unserer Hauptanliegen war es, ein alternatives Männlichkeitsbild zu zeigen.

Beim ersten Liebeskummer denkt man, die Welt geht unter: Es ist ein reales Gefühl, ein absoluter emotionaler Notzustand.

Joscha Bongard

Welche Themen werden in deinem Film aufgegriffen?
Es geht zum einen um Liebeskummer: Darum, wie wir nach Beziehungen wieder zu uns finden und wie Freunde uns dabei Sicherheit geben. Als jugendliche Person weiß man noch nicht, dass Liebeskummer vergeht. Beim ersten Liebeskummer denkt man, die Welt geht unter: Es ist ein reales Gefühl, ein absoluter emotionaler Notzustand. Doch wenn man das zwei oder drei Mal durchgemacht hat, weiß man, man wird es überstehen. Zum anderen geht es um Beziehungen selbst. Wir glauben, dass jede Beziehung eine große Liebe sein kann – auch Freundschaften zwischen zwei Jungs. Ein weiteres Thema wird durch die Perspektive der Protagonistin Leyli, eine Anfang 30-jährige Frau ohne Partner oder Kinder, aufgemacht. Entgegen den gesellschaftlichen Erwartungen hat sie keine Ambitionen, daran etwas zu ändern.

Die Freunde Max und Leonid umarmen sich.
„Wir glauben, dass jede Beziehung eine große Liebe sein kann – auch Freundschaften zwischen zwei Jungs.“ – Joscha Bongard (Fotos: Jakob Sinsel)

Inwiefern realisierst du diese Themen filmisch in „Jung Fragil“?
Der Film ist sehr talkative. Es wird viel gesprochen und in Nebensätzen wird vieles mitverhandelt.  Wir wollten ausprobieren, was passiert, wenn fast ununterbrochen geredet wird, wenn Dinge wirklich ausgesprochen werden. Möglichen Gesprächen, die es zu diesen Themen geben kann, wollten wir Raum geben. Außerdem wird viel zitiert, unter anderem mit Direktzitaten aus der „Nouvelle Vague“ oder „Titanic“. Wir haben versucht, große Bewegungen der Filmgeschichte aufzunehmen, die ähnliche Themen behandeln.

Beziehungen sind die kleinsten Formen der Gesellschaft, in ihnen drückt sich viel über unser Zusammenleben aus.

Joscha Bongard

Wie hast du in deinem Film versucht, den Bogen zwischen individuellen Themen wie Liebeskummer oder Freundschaft und komplexeren Diskursen wie Feminismus, Geschlechterrollen und gesellschaftlichen Erwartungen zu spannen?
Alle großen und kleinen Themen sind miteinander verknüpft. Jede Beziehung ist auch politisch: Beziehungen sind die kleinsten Formen der Gesellschaft, in ihnen drückt sich viel über unser Zusammenleben aus. Wenn über Feminismus im Großen geredet wird, dann ist es auch wichtig, wie die konkrete Umsetzung in den kleinen intimen Beziehungen ist. Wie gehen Mann und Frau miteinander um? In „Jung Fragil“ werden die Themenkomplexe in Gesprächen oder erlebten Situationen, die die Protagonist*innen gemeinsam reflektieren, verknüpft.

Wie wurden die Schauspieler*innen ausgewählt? Waren dir bestimmte Aspekte besonders wichtig?
Wir haben den Film in der Hoffnung geschrieben, dass Jonathan Berlin den Protagonisten spielen wird. Ich fand Jonathan so spannend, weil er ein durchlässiger und sehr sensitiver Mensch ist. Lary (Larissa Sirah Herden) wurde uns von der Casterin Stella Markert vorgeschlagen. Zu dem Zeitpunkt hatte Lary noch wenig gespielt, aber als wir sie kennenlernten, wusste ich sofort, dass sie genau die Person mit der Attitude ist, die wir suchen.

Die beiden Protagonisten Leyli und Leonid liegen auf dem Rücken im Gras und betrachten den Himmel.
„Es gibt Momente, da trifft man Menschen und man hat das Gefühl, man kennt sie schon ewig.“ – Zitat aus „Jung Fragil“

Wie würdest du die Dynamik zwischen dem Protagonisten Leonid und seinem Date Leyli beschreiben?
Sie sind schnell beieinander. Im Film wird es kurz erwähnt: „Es gibt Momente, da trifft man Menschen und man hat das Gefühl, man kennt sie schon ewig“. Leyli hat eine gewisse Mentorinnenrolle für Leonid. Sie sensibilisiert ihn und bringt ihm auf eine respektvolle, aber doch direkte Art Dinge bei. Sie ist einfach eine coole Socke. Cool, im Sinne von ‚abgebrüht‘. Eine große Rolle dabei spielt Leylis Lebenserfahrung, wie sie Dinge reflektiert und wie sie sich ihrer selbst bewusst ist.

Der Film soll Männlichkeit problematisieren und zeigen, dass sie fragil ist, weil sie ein Konstrukt ist.

Joscha Bongard

Warum hast du den Titel „Jung Fragil“ gewählt?
Es wird viel über männliche Fragilität gesprochen. Dieser Begriff ist negativ konnotiert, insofern, dass Männer aus kleinen Verletzungen ausagieren und sich dann verletzend gegenüber anderen verhalten. Der Film soll Männlichkeit problematisieren und zeigen, dass sie fragil ist, weil sie ein Konstrukt ist. Doch die Unsicherheit junger Männer sollte nicht mit Dominanz gefüllt werden, sondern mit Reflexion, Selbsterkenntnis und einer Eigenpositionierung, wo man in der Welt stehen und was man in sie hineingeben will.

Die Filfigur Leonid im Spiegel dreifach zu sehen.
„Wir wollten ein Brennglas auf unsere Generation und unsere Bubble halten und diese Zeit festhalten.“ – Joscha Bongard

Der Film enthält recht lange Dialogszenen gerahmt durch die direkte Ansprache an ein fiktives „Du“ zu Anfang und Ende. Was war dein Gedanke hinter der Machart des Films?
Der Film ist relativ frei und assoziativ entstanden. Wie zu Anfang und Ende zu sehen ist, liebe ich ‚Voiceovers‘. Jemand, den man nicht sieht, spricht – meistens ein Ich-Erzähler. Das ist ein einfacher Weg, um das Publikum zu emotionalisieren: Er macht die Person auf und offenbart Fragilität. Während des Intro-Voiceovers ist eine stilisierte Instagram-Oberfläche zu sehen, die das Swipen visualisiert. Denn das Internet und Social Media sind in unserer Generation omnipräsent und finden immer mehr Abbildung in Filmen.

Was sollen junge Menschen aus deinem Kurzfilm mitnehmen?
Ich glaube, dass man so sein kann, wie man will. Es gibt nicht die Form von Männlichkeit. Viel mehr kann jeder sich als männlich identifizierende Mensch seine eigene Form von Männlichkeit leben. Sie ist letztlich nur ein gesellschaftliches Konstrukt und wir sollten überlegen, ob es richtig ist, alles in männlich und weiblich zu kategorisieren. Das Filmische als Kunstform hat auch den Anspruch, Abbildung einer gewissen Zeit und Generation zu sein. Wir wollten ein Brennglas auf unsere Generation und unsere Bubble halten und diese Zeit festhalten.

Der Kurzfilm „Jung Fragil“ (2020) ist kostenlos auf Vimeo zu sehen. Schaut doch mal rein!

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