Meinung

Filmkritik: „Persuasion“ – ein Schuss in den Ofen

Ein Mann und eine Frau liegen sich auf einer Wiese in den Armen.
Der Film „Persuasion“ basiert auf dem Originalwerk von Jane Austen – doch hat recht wenig damit zu tun, wie unsere Autorin findet.

Am 15. Juli 2022 erschien auf Netflix der Versuch einer Verfilmung des Jane Austen Dramas „Persuasion“, der gewaltig nach hinten losging.

Alicia Homann, funky-Jugendreporterin

Die Geschichte dreht sich um Anne Elliot, gespielt von Dakota Johnson, die acht Jahre zuvor beinahe den Soldaten Frederick Wentworth geheiratet hätte. Anne wurde von ihrer Familie überredet, aufgrund seines Ranges von der Heirat abzulassen. Mittlerweile ist sie 27 Jahre alt und damit zur Zeit des 19. Jahrhunderts fast eine „alte Jungfer“. Sie trauert Frederick weiterhin hinterher, der plötzlich wieder in ihrem Leben auftaucht.

Netflix wollte sich nach dem Erfolg der Serie „Bridgerton“ an einer seriöseren Quelle versuchen. Dafür wurde der gleichnamige Roman aus dem Jahr 1817 zur Übersetzung durch das Urban Dictionary gepresst. Anders lassen sich Sätze wie „Es heißt oft, wenn du in London eine 5 bist, bist du in Bath eine 10“ oder „weil er eine 10 ist und ich vertraue niemals einer 10“, nicht erklären. Dem jungen Publikum wurde von der Produktionsfirma offensichtlich nicht zugetraut, einen Film ohne Jugendsprache durchzustehen. Wo doch Sätze wie „You have bewitched me in body and soul” aus der 2015er-Verfilmung von „Stolz und Vorurteil“ ganze Fangemeinden verbindet. Dass die Jugend in ihren Kompetenzen unterschätzt wird, ist nichts Neues und macht es deswegen umso unangenehmer, dass es weiterhin vorkommt.

Das moderne Element sollte das Original unterstreichen und nicht umschreiben.

Verfilmungen von historischen Romanen mit modernen Mitteln zu unterstützen, kann definitiv funktionieren, beispielsweise mit Popmusik im Film „Marie Antoinette“. Der springende Punkt ist allerdings die unterstützende Funktion: Das moderne Element sollte das Original unterstreichen und nicht komplett umschreiben. Das Einzige, was uns in dem Film noch daran erinnert, dass die Handlung zwischen der Romantik und Aufklärung spielt, sind die Kostüme und Szenerie. Auch der Fakt, dass Frauen allein umherspazieren, sich unverheiratete Paare auf einer belebten Straße küssen und offene Gespräche über gesellschaftliche Themen stattfinden, verfälscht die Realität jener Zeit. Wenn man „Persuasion“ so dringend modernisieren wollte, warum verlegt man das Drama nicht in das 21. Jahrhundert? Bei „Clueless“ wurde das fabelhaft umgesetzt: Der Film gilt für viele mittlerweile als Klassiker. Den meisten ist nicht bewusst, dass die Handlung für diesen Film aus Jane Austens „Emma“ stammt.

Es ist fraglich, ob irgendjemand des Film-Teams das Originalwerk „Persuasion“ von Jane Austen gelesen hat.

Ein weiteres Merkmal, dass man nur schwer aushalten kann, ist der unterirdisch schlechte Humor. In einer Szene ist Anne im Gespräch mit ihrer als narzisstisch beschriebenen Schwester Mary, allerdings redet Anne durchgängig italienisch. Der Witz daran ist, dass Mary dies nicht auffällt, da sie nur sich selbst zuhört. Ein weiteres Beispiel: Als Anne darüber spricht, dass sie nicht mehr tiefer fallen könnte in ihrem Leben, stolpert sie und fällt hin. Die genannten Szenen sind nur im Entferntesten witzig, weil sie so absurd sind. Es soll offensichtlich #relatable sein: Auch, dass die Protagonistin auffällig oft aus einer Weinflasche trinkt, zielt in diese Richtung. Ein Schild mit der Aufschrift „It’s wine o’clock“ im Hintergrund hätte wunderbar ins Bild gepasst. Allgemein ist fraglich, ob irgendjemand des Film-Teams das Originalwerk von Jane Austen gelesen, geschweige denn verstanden hat, dass ihre Bücher bereits einen sehr eigenen Humor haben.

Gerade „Persuasion“ ist ein Werk, das sich vor allem durch die Tragik auszeichnet. Woher die Entscheidung kam, daraus eine Liebeskomödie zu machen, ist unverständlich. In der Schule wäre eine solche Umsetzung eine Themenverfehlung gewesen – sechs, setzen! Das Buch hingegen überzeugt durch emotionale Vielschichtigkeit: Anne ist zurückgezogen, unscheinbar und behält ihre Gefühle für sich. Ihre Familie schaut auf sie herab und macht sich über sie lustig, was sie sehr mitnimmt. Genau deswegen ist es so besonders, dass Frederick sie sieht, er scheint der Einzige in ihrem Leben zu sein, der sie je verstanden hat. Im Film hingegen ist er quasi charakterlos und macht nichts, außer gelegentlich seine Seelenverwandte anzustarren. Anne aus dem Film wiederum trägt ihre Gefühle auf der Zunge und wirkt dabei eher dümmlich. So wird der Eindruck verstärkt, dass das Buch grundlegend missverstanden wurde.

Es fühlt sich so an, als wäre dem Film sein Originalwerk peinlich und er mache sich konstant darüber lustig.

Auch das stilistische Element, dass der Hauptcharakter immer wieder die vierte Wand durchbricht und sarkastische Kommentare an die Zuschauer*innen richtet, hat wenig mit dem Originalcharakter des Werks zu tun. Darüber hinaus erinnert der Film stark an die Erfolgsserie „Fleabag“ von Phoebe Waller-Bridge, in der die Kommentare den Zuschauer*innen einen Einblick in das Gefühlsleben der Hauptfigur geben sollen. Im Falle von „Persuasion“ tut es allerdings nichts für den Charakter, sondern ist nach einer gewissen Zeit ausgesprochen nervig. Man wollte Bridgerton und Fleabag in einen Topf werfen, um etwas Neues zu kreieren, hat dabei allerdings vergessen, das Buch auch noch miteinzubeziehen. Insgesamt fühlt es sich so an, als wäre dem Film sein Originalwerk peinlich und er mache sich konstant darüber lustig. Im Endeffekt ist die Emotion, die der Film auslöst, Fremdscham und das einzige, was einen anschließend noch beschäftigen könnte ist die Frage: Warum trägt Anne die ganze Zeit ein weißes Kaninchen mit sich herum, dessen Anwesenheit nicht einmal beachtet wird?

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Wir haben genug davon, dass die Geschichten immer nur von den Alten erzählt werden. Deswegen haben wir den Stift selbst in die Hand genommen, sind durch die Lande gezogen, haben Geschichten und Menschen gesucht, gefunden und alles aufgeschrieben, was uns untergekommen ist. Wir haben unsere Smartphones und Kameras gezückt und Fotos und Videos gemacht. Auf funky zeigen wir euch die Ergebnisse unserer Recherchen.