Abi in der Pandemie: Adrenalinkicks und Zukunftsängste

Mädchen hält negativen Schnelltest hoch
Abitur unter Corona-Bedingungen bringt viele Schüler*innen an ihre Belastungsgrenze.

Zum dritten Mal wird das Abitur in Deutschland in pandemischer Lage aufgrund des Covid-19 Virus geschrieben. Ein Erfahrungsbericht.

Jule Oeser, funky-Jugendreporterin

Plötzlich höre ich wieder nichts, alle Gesichter frieren ein oder nehmen abstrakte, verpixelte Gestalten an. Ich seufze, gehe aus dem Video-Call, warte ein paar Sekunden, neuer Versuch. Mit etwas Glück schaffe ich es, das Wichtigste aus der Klausur-Vorbereitung mitzubekommen. Es ist Lernen unter erschwerten Bedingungen, dem dritten Corona-Winter sei Dank, und das in der Vorbereitungsphase zum Abitur.

Das Abitur während der Corona-Pandemie zu schreiben fühlt sich ein bisschen so an, als würde ich schon studieren. Selbstständiges Arbeiten bis zum geht nicht mehr, Deadlines einhalten und dabei versuchen, mich selbst nicht zu vergessen. Vielleicht ist selbständiges Lernen aber auch normal fürs Abiturjahr und wird durch Corona nur sicht- und spürbarer. Ich habe es in diesem Jahr allerdings nicht ansatzweise so schwer wie die Jahrgänge 2020 und 2021, als die Pandemie gefühlt noch in den Startlöchern steckte und die Unsicherheit groß war. Es ist eine Art Privileg, schon der dritte Corona-Abijahrgang zu sein, denn die Situation ist mittlerweile fast zum Normalzustand geworden und es wird routiniert mit ihr umgegangen, auch in der Abi-Zeit.

Obwohl der Zustand mittlerweile Normalität ist, fallen mir doch einige Dinge auf: In der Corona-Zeit habe ich gelernt, meine eigenen Privilegien zu reflektieren. Ich habe das Glück, mein Zimmer nicht mit einem Geschwisterkind teilen zu müssen, während ich für das Abitur pauke. Und wenn es zuhause doch zu laut wird, gehe ich eben in die Bibliothek um die Ecke. Diese Möglichkeit haben viele nicht, müssen sich Zimmer mit ihren Geschwistern teilen, leben auf engstem Raum, obwohl jeder seine eigenen individuellen Lernbedürfnisse hat. Und beim Lernen in öffentlichen Institutionen gibt es natürlich auch immer das Risiko, sich mit dem Virus zu infizieren.

Jeden Montag, Mittwoch und Freitag begrüßt mich der Adrenalinkick beim Corona-Selbsttest wie ein alter Freund. Wer hat es diesmal? Wer muss in Quarantäne? Wer kann die nächste Prüfung nicht mitschreiben? Dann folgt meistens (Gott sei Dank) die Erleichterung. Nur der obere Strich wird sichtbar und man kann durchatmen – bis zum nächsten Test. Mittlerweile ist Corona im Schulalltag wie ein geheimnisvoller Fluch, der jederzeit zuschlagen könnte, es kann jeden treffen und die Konsequenzen sind so gut wie gar nicht vorhersehbar. Und wir ignorieren diesen Fluch, soweit es geht, leben unseren Schulalltag so normal wie möglich, machen die Dinge, die wir sonst auch machen. Die Pausen verbringe ich draußen mit meinen Freunden, der Ausblick aufs Meer und die frische Luft lohnen sich jedes Mal. Wir machen Witze, lachen, teilen aber auch unsere Sorgen und Bedenken für das Abitur.

Denn da ist trotzdem immer dieser Hintergedanke, es nicht zu schaffen. An mangelnder Vorbereitung zu scheitern und die schulischen Lücken nicht zu sehen, bis es zu spät ist. An dem Prüfungsdruck zu verzweifeln. Sich kurz vor den Prüfungen mit Corona zu infizieren. All diese Sorgen und Zweifel sind ständige Begleiter, die Unsicherheit ist das Schlimmste von allem. Nicht zu wissen, worauf es ankommt, was fehlt, wie der aktuelle Lernstatus ohne Corona aussähe und ob es so, wie ich gerade lerne, wirklich ausreicht.

All diesen Sorgen wird aber der Platz genommen, wenn ich daran denke, dass es vor mir schon so viele geschafft haben, sicher und mit guten Ergebnissen durch die Prüfungen zu rutschen, mit oder ohne Corona. Ich will dem Virus nicht die Kraft geben, mir nicht nur im Privaten, sondern auch im Abitur Panik und Angst zu machen.

Manchmal ist das aber nicht so einfach. Die Abi-Zeit ist jedoch nicht nur von der Prüfungsangst geprägt, sondern auch von dem Gefühl der Ohnmacht und Perspektivlosigkeit. Wo geht es danach hin? Welche Möglichkeiten gibt es überhaupt? Reisen nach dem Abitur klingt immer wie ein gutes Vorhaben, doch in welchem Umfang ist das moralisch und gesundheitlich zu vertreten?

Auf diese Fragen habe ich noch keine Antworten. Erstmal muss ich den Abschluss überhaupt schaffen. Ich kann entscheiden, mich, so gut es geht, auf die Prüfungen vorzubereiten und mit den mir zur Verfügung stehenden Mitteln mein Bestes zu geben. Denn was anderes bleibt mir wohl nicht übrig.

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Wir haben genug davon, dass die Geschichten immer nur von den Alten erzählt werden. Deswegen haben wir den Stift selbst in die Hand genommen, sind durch die Lande gezogen, haben Geschichten und Menschen gesucht, gefunden und alles aufgeschrieben, was uns untergekommen ist. Wir haben unsere Smartphones und Kameras gezückt und Fotos und Videos gemacht. Auf funky zeigen wir euch die Ergebnisse unserer Recherchen.