Interview

Hospizarbeit: Über Demut und Selbstlosigkeit

Büşra Delikaya
Büşra Delikaya engagiert sich ehrenamtlich als Hospizarbeiterin.

Jährlich werden laut dem Deutschen Hospiz- und PalliativVerband (DHPV) etwa 30.000 Menschen im Hospiz versorgt. Inmitten einer Welt, die oft von Hektik und Selbstbezogenheit geprägt ist, bietet die Hospizarbeit einen einzigartigen Raum der Besinnung und Menschlichkeit. Doch was macht diese Arbeit so besonders? Büşra Delikaya (29) gewährt einen Einblick hinter die Kulissen und erzählt, was die ehrenamtliche Arbeit für sie bedeutet.

Rita Rjabow, funky-Jugendreporterin
Büşra Delikaya

Seit 2021 engagiert sich Büşra ehrenamtlich im Hospiz. Während ihr Beruf als Redaktionsvolontärin sie täglich mit den neuesten Ereignissen in Politik und Gesellschaft konfrontiert, bietet ihr die Hospizarbeit die Gelegenheit zur direkten Unterstützung anderer Menschen. Es war kein besonderes Ereignis, das Büşra dazu bewogen hat, sich für die Arbeit im Hospiz zu begeistern – kein Verlust, wie man vielleicht vermuten könnte. Ihre Motivation sich zu bewerben war vor allem die Möglichkeit, andere zu unterstützen und aufzuzeigen, dass „Hospize auch Orte des Lebens sind“. Schnell erkannte Büşra, dass die Arbeit im Hospiz eine Haltung der Bescheidenheit erfordert. „Du musst demütig sein“, erklärt Büşra, „du bist dort einfach nur als helfende Person da und erwartest nichts.“ Diese Haltung der Demut ermöglicht es im Hospiz, sich vollkommen auf die Bedürfnisse der Sterbenden und ihrer Familien zu konzentrieren und weniger von persönlichen Bedürfnissen getrieben zu werden.

Nicht nur Händchenhalten

Büşra Delikaya

Büşra betont auch die Vielfalt der Möglichkeiten, die das Hospiz als Arbeitsumfeld bietet. Es geht nicht nur um die direkte Sterbebegleitung, sondern auch um praktische Unterstützung in verschiedenen Bereichen. „Es kann auch etwas ganz anderes sein“, erklärt sie. „Leute, die ein Instrument spielen oder irgendein anderes Talent haben, können sich im Ehrenamt im Hospiz einbringen.“ Diese Vielfalt ermöglicht es den Menschen, ihre individuellen Fähigkeiten und Interessen einzubringen und gleichzeitig einen wertvollen Beitrag zu leisten. Ob Unterstützung am Empfang, beim E-Mailverkehr oder bei der Verteilung von Essen – die Arbeit im Hospiz ist nicht auf Sterbebegleitung beschränkt. Die ehrenamtliche Arbeit steht für alle offen, die volljährig sind und eine Qualifizierung zur Hospizbegleitung absolvieren.

Man muss hingehen, um zu helfen und eine Stütze zu sein, aber nicht erwarten, dass die Menschen freudestrahlend in deine Arme fallen.

Büşra Delikaya

Außerdem hebt Büşra die Bedeutung von Selbstlosigkeit in der Hospizarbeit hervor. „Man muss hingehen, um zu helfen und eine Stütze zu sein, aber nicht erwarten, dass die Menschen freudestrahlend oder mit Tränen in den Augen in deine Arme fallen“, sagt sie. Diese Arbeit erfordert eine Haltung der Selbstlosigkeit und den Verzicht auf persönliche Anerkennung oder Belohnung. Durch die Gespräche und die Erfahrungen im Hospiz bekommt Büşra die Chance, sich in andere Perspektiven besser hineinzuversetzen.

Die Arbeit im Hospiz und philosophische Fragen

„Im Hospiz sind nicht nur Seniorinnen und Senioren. Viele denken, Hospiz würde Einsamkeit bedeuten, doch ich habe ganz andere Erfahrungen gemacht.“ Büşra reflektiert über ihre anfängliche Motivation, sich für die Hospizarbeit zu engagieren. Auch sie dachte, dass diese ehrenamtliche Arbeit darin besteht, für Menschen da zu sein, die allein sind. Doch Büşra sieht in dieser Arbeit einen größeren Sinn. Sie unterstreicht: „Ich bin Teil einer Gesellschaft und gebe dieser Gesellschaft irgendetwas zurück in einer nicht entlohnenden Form. Das tut vor allem auch mir gut.“ Diese ehrliche Reflexion zeigt, dass die Motivation zur Hospizarbeit oft aus einem tiefen Bedürfnis nach Verbundenheit und Sinnhaftigkeit erwächst. Gleichermaßen bietet diese ehrenamtliche Arbeit auch die Möglichkeit, sich mit dem eigenen Leben genauer auseinanderzusetzen. So befasst sich auch Büşra intensiv damit, was der Tod und was das Leben für sie bedeuten. „Was bedeutet es überhaupt zu existieren? Was heißt Abschied? Was heißt Liebe?“, Büşra kann sich durch ihre Hospizarbeit intensiver mit diesen Themen auseinandersetzen.

In einer Zeit, die von Hektik und Selbstbezogenheit geprägt ist, erinnert Hospizarbeit daran, dass Erfüllung und Sinn auch in der Fürsorge für andere liegen können.

Büşra Delikaya

Die Arbeit im Hospiz bietet nicht nur die Möglichkeit, anderen zu helfen, sondern auch, sich persönlich weiterzuentwickeln. Büşras Erfahrungen zeigen, dass diese Arbeit nicht nur den Sterbenden und ihren Familien zugutekommt, sondern auch denjenigen, die sich dafür engagieren. Denn diese Arbeit bedeutet eine Bereicherung für das eigene Leben. Durch die Praxis von Demut und Selbstlosigkeit können die Menschen im Hospiz anderen nicht nur Trost und Unterstützung bieten, sondern auch zu einem tieferen Verständnis von Menschlichkeit und Mitgefühl gelangen. „Ich wollte mich engagieren und etwas machen, wo ich Menschen direkt helfe. Durch meine Hospizarbeit bekomme ich diese Chance. In einer Zeit, die von Hektik und Selbstbezogenheit geprägt ist, erinnert Hospizarbeit daran, dass Erfüllung und Sinn auch in der Fürsorge für andere liegen können“, fasst Büşra zusammen.

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