Ein TikTok gegen die Einsamkeit

Hand hält Handy, auf dem TikTok geöffnet ist
Die sozialen Medien können helfen, neue Leute kennenzulernen.

Der Umzug in eine neue Stadt kann ziemlich einschüchternd sein. Sich in der neuen Umgebung, mit neuen Gewohnheiten, aber vor allem in einem neuen sozialen Umfeld zurechtzufinden, ist nicht immer leicht. Unserem Autor kam bei seinem Umzug nach Berlin unerwartet die App TikTok zur Hilfe.

Matheo Berndt, funky-Jugendreporter

Als ich zum Studium nach Köln zog, brauchte ich vier Monate, um Anschluss zu finden. Kurz nachdem ich es dann endlich geschafft hatte, zog ich auch schon wieder weg. Als ich für ein dreimonatiges Praktikum in Berlin ankam, wollte ich das nicht wiederholen – in drei Monaten würde ich ja schließlich wieder abreisen. Dementsprechend stand ich unter Zeitdruck. Ich hatte also den festen Vorsatz, Freund*innen zu finden. Die Umsetzung gestaltete sich jedoch schwierig: Freundschafts-Dating-Apps überforderten mich maßlos, meine Mitbewohnerin war viel unterwegs und Sportgruppen waren verletzungsbedingt keine Option. 

Ich saß also Samstagnachmittag am Ende meiner ersten Woche allein in meinem Zimmer im Kreuzberger Altbau, fernab von zu Hause, und fühlte mich zwar sehr „Berlin“, aber auch sehr allein. Ich war zwar erst eine Woche hier, aber trotzdem beschlich mich die Angst, meine Anfangszeit in Köln würde sich wiederholen. Um mich zu beschäftigen, ging ich spazieren und filmte ein TikTok von meinem Nachmittag. Wozu gibt es das Internet, wenn nicht dafür, um Fremden zu erzählen, wie einsam ich bin? 

Über Nacht Hunderte Freundschaftsangebote

Am nächsten Morgen wachte ich auf und musste dreimal hinsehen, bis ich es merkte: Mein Video war über Nacht viral gegangen, und wo vorher ein- oder zweihundert Aufrufe und drei, vier Kommentare standen, las ich nun sagenhafte 40.000 Aufrufe und Hunderte von Kommentaren, die fast allesamt „Ich auch! Lass uns Freunde sein“ lauteten. Ich hatte über Nacht einen Haufen potenzieller Freund*innen in Berlin gewonnen, die auf meine Antwort warteten – und kam kaum noch hinterher.

Mich mit Fremden aus dem Internet zu treffen war eine große Überwindung. Personen aus den Kommentaren fühlten sich sehr viel fremder an als Menschen, die ich auf Bumble und Co gefunden hätte, und natürlich unendlich viel fremder als Bekanntschaften aus dem echten Leben. Dennoch sprang ich über meinen Schatten und verabredete mich ab und zu mit einigen der „Fast-Unbekannten“ – auch wenn sich die Treffen eher nach Blind Date als nach einem entspannten Abend mit Freund*innen anfühlten. Unter den anderen Anschlusssuchenden waren viele schon eingelebte oder sogar Ur-Berliner*innen, sodass ich nicht nur Freund*innen, sondern auch Tourguides fand. Ich entdeckte Flohmärkte, Open-Mic-Bars, etliche Parks und Dutzende Cafés und Restaurants in immer neuen Ecken Berlins. Währenddessen trafen alle paar Minuten weitere Kommentare und Nachrichten auf TikTok ein – selbst wenn ich alle abgearbeitet und ein gigantisches Freund*innen-Treffen veranstaltet hätte, hätte ich am nächsten Tag von vorn anfangen müssen.

Besonders schön war es zu sehen, wie die Menschen in den Kommentaren unter meinem Video zueinander fanden. Ich war sogar ein bisschen stolz auf mich, weil ich (wenn auch irgendwie aus Versehen) einen Raum geschaffen hatte, in dem sich Menschen, die sich in einer ähnlichen Situation befinden, kennenlernen konnten. Einige machten Instagram-Gruppen auf, in die alle, die wollten, hinzugefügt wurden. Andere verabredeten sich, privat weiterzuschreiben. Alle teilten vor allem eine Erfahrung: Auch in der Großstadt – vielleicht besonders in der Großstadt – kann man ganz schön allein sein. 

Social Media als „Wingman“

Ganz so viele neue Kontakte, wie ich gehofft hatte, habe ich letztendlich aber doch nicht geknüpft. Die verschiedenen Menschen, mit denen ich mich verabredet habe, kann ich an einer Hand abzählen, und nur einer davon wurde wirklich zu einem Freund – aber das ist okay. Ich habe nicht nur einen Freund hier. Ich habe einen ganzen Freund in einer fremden Stadt gefunden, mit dem ich mich mindestens einmal in der Woche getroffen habe, dem ich von Angesicht zu Angesicht von meinem Tag erzählen konnte und ohne den mir der Abschied wohl deutlich leichter fallen würde.

Immer noch kommentieren fast täglich einsame (Neu-)Berliner*innen mein TikTok, das mittlerweile rund 190.000 Aufrufe und 750 Kommentare verzeichnen kann. Ich kann nicht damit rechnen, von nun an bei jedem Umzug viral zu gehen, und leider wird auch nicht jeder gleich beim ersten Versuch vom Algorithmus geküsst. Allerdings schaue ich nun weniger pessimistisch auf andere Möglichkeiten, mithilfe von sozialen Medien Freund*innen zu finden. Es ist leicht, sich bei einem Neuanfang überfordert zu fühlen – unter unendlich vielen Menschen diejenigen zu finden, mit denen man sich versteht. Dann auch noch eine Freundschaft oder einen ganzen Freundeskreis Stück für Stück aufzubauen, kann einschüchtern. Während meines Berlin-Sommers habe ich aber gemerkt, dass es gar nicht so unrealistisch ist, schon bei wenigen Kontakten echte Freundschaften zu knüpfen und dass es die Mühe auf jeden Fall wert ist. Für meinen kommenden Umzug habe ich mir vorgenommen, dem Internet als Freundschafts-Wingman noch eine Chance zu geben.

Geholfen hat mir die Erfahrung allemal. Ich weiß jetzt, dass es allein in dieser Stadt mindestens 750 Menschen gibt, denen es genauso geht wie mir – und das sind nur die, die sich auf TikTok gemeldet haben. An meiner Situation ändert das nicht wirklich etwas, aber es beruhigt. Vielleicht gehört Alleinsein manchmal einfach dazu, und es geht viel mehr Leuten so, als ich dachte. Vielleicht reicht schon ein einziger Freund, um sich in der Fremde etwas mehr zu Hause zu fühlen.

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Wir haben genug davon, dass die Geschichten immer nur von den Alten erzählt werden. Deswegen haben wir den Stift selbst in die Hand genommen, sind durch die Lande gezogen, haben Geschichten und Menschen gesucht, gefunden und alles aufgeschrieben, was uns untergekommen ist. Wir haben unsere Smartphones und Kameras gezückt und Fotos und Videos gemacht. Auf funky zeigen wir euch die Ergebnisse unserer Recherchen.