Interview

Die „Rhymes with Witches“ im Interview: „Impro fühlt sich oft an wie Therapie“

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Von links: Anna, Lisa, Tina, Julia, Maria und Jenna der "Rhymes with Witches". Madlen findet ihr unten im Insta-Post.
Oskar Schulz, funky-Jugendreporter

Auf einer Bühne stehen und Leute zum Lachen bringen – für die meisten ein Albtraum. Noch schlimmer, wenn man sich die Witze auch noch ganz spontan ausdenken muss. Anders geht es den sieben Frauen der englischsprachigen Impro-Comedy-Gruppe „Rhymes with Witches“ aus Berlin. Im Gespräch erklären uns Maria Purtscher (28) und Madlen Meyer (33), warum ausschließlich Frauen zu ihrer Gruppe gehören und welche therapeutischen Nebenwirkungen Impro-Comedy haben kann.

Kann man es lernen, lustig zu sein?
Maria: Teils, teils. Ein gewisses Grundtalent oder Interesse muss man schon mitbringen. Du kannst auf jeden Fall bestimmte Taktiken  lernen, um witziger zu sein. Ein Beispiel dafür ist die Übung „The Rule of Threes“ bei der man zwei zusammenhangslose Dinge oder Aussagen durch eine dritte überraschende witzige Aussage verbindet.

Seit wann gibt es die „Rhymes with witches“ und wie seid ihr dazu gestoßen?
Madlen: Im Juli 2019 haben wir die Gruppe gegründet. Ich bin eines der Gründungsmitglieder. Das Comedy Café Berlin organisierte das englischsprachige „Improv-Festival“. Zusammen mit Tina, einem anderen Mitglied, haben wir an einem Impro-Kurs teilgenommen. Der Workshop „Set bitch free“  war nur für weibliche Improvisors gedacht. Das war eine so tolle Erfahrung, dass wir uns danach mit anderen Frauen aus dem Kurs zusammengesetzt haben, um ein ausschließlich aus Frauen bestehendes Team zu gründen. Wir hatten bis dahin alle nur an zwei oder drei Kursen teilgenommen und daher noch nicht viel Erfahrung. Von Impro-Kursen profitiert man nur bis zu einem bestimmten Punkt. Danach braucht man ein Team. Ein halbes Jahr lang haben wir uns regelmäßig zum Üben getroffen. Anfang 2020 waren wir dann bereit endlich aufzutreten. Wir hatten drei Shows– und dann begann Corona. Mittlerweile spielen wir wieder regelmäßig, solange Corona es zulässt. Außerdem hat sich unser Team seit unserer Gründung ständig verändert, weil Leute weggezogen oder neu dazugekommen sind. Wie zum Beispiel Maria hier.

Welchen Background haben die Mitglieder eurer Gruppe?
Maria: Bei uns sind viele unterschiedliche Nationalitäten vertreten. Das Team besteht aus Frauen aus Südafrika, Deutschland, Österreich, Amerika und Lettland.

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Was braucht man neben Humor, um als Impro-Comedienne aufzutreten?
Madlen: Also erstmal braucht man Lust dazu und vor allem die Bereitschaft, am Anfang zu scheitern. Man darf sich selbst nicht zu ernst nehmen. Man darf nicht denken, dass man in jeder Szene den besten Witz bringen muss. Das funktioniert meistens nicht. Es geht viel eher darum, zuzuhören und sensibel dafür zu sein, wie ich meine Szenenpartnerin unterstützen kann. Die meisten aus unserem Team haben aber keinen Schauspielhintergrund. Ein paar haben schon auf der Bühne gestanden, andere nicht. Auch das funktioniert. Man braucht für Impro-Comedy keine Bühnenerfahrung.

Maria: Das kann ich so unterschreiben. Man muss dazu bereit sein, die eigene Komfortzone zu verlassen. Ich hatte überhaupt keine Schauspielerfahrung und das war zu Beginn sehr schwer. Es braucht eine Weile, bis man sich wohlfühlt und versteht, dass man nicht sofort gut sein kann. Es braucht Zeit, Geduld und vor allem Vertrauen in andere Menschen. Ich denke während der Impro an nichts anderes. Ich bin dort so im Jetzt wie ich es im sonstigen Leben selten bin.

Also ist es für euch eine spirituelle, zwischenmenschliche Erfahrung?
Madlen: Ja, klingt ein wenig nach einem Kult. Der Impro-Kult Berlin. (lacht)

Jeder kann in Rollen schlüpfen, sich ausprobieren und einfach frei sein.

Madlen Meyer

Wie hat sich euer Leben durch die Impro-Comedy verändert?
Madlen: Also ich bin eigentlich Schauspielerin und Sprecherin. Ich kann durch Impro-Comedy immer wieder etwas Neues spielen und bin nicht festgelegt. Ich kann zum Beispiel einen alten Mann spielen, eine Rolle, für die ich sonst wohl kaum gecastet werden würde. Aber egal, ob man Schauspieler*in ist oder nicht: Jeder kann in Rollen schlüpfen, sich ausprobieren und einfach frei sein. Klar gibt es ein paar Regeln, aber die begrenzen sich, grob zusammengefasst, eigentlich eher darauf kein Arschloch zu sein.

Maria: Ich habe gelernt, zuzuhören, mich auf andere einzulassen und loszulassen.

Ihr habt gerade gesagt, dass man kein Arschloch sein sollte. Verringert eine rein weibliche Gruppe die Arschlochgefahr?
Madlen: Kein Kommentar. (lacht)

(…) wenn du eine Szene mit Männern spielst, bist du oft automatisch die Frau oder die Ehefrau.

Maria Purtscher

Maria: Ich glaube, dass es generell zu wenig Frauen in der Comedy-Szene gibt. Es ist schön, in einem Team zu spielen, das ein Safe Space ist und in dem grundsätzlich alles möglich ist. Vielleicht nicht immer, aber wenn du eine Szene mit Männern spielst, bist du oft automatisch die Frau oder die Ehefrau. Männer stellen häufiger Respektspersonen wie Polizisten dar. Der „unconscious bias“, die vorreflexive Zuordnung eines bestimmten Stereotyps, lebt ja in uns allen. Uns selbst passiert das auch, wenn wir mit Männern auf der Bühne stehen. In einer reinen Frauengruppe fallen diese Kategorien schnell weg. Ich bin aber auch in einem zweiten Impro-Team, in dem auch Männer mitspielen. Schrecklich ist es also nicht. (lacht) Aber es ist anders.

Wie kann man für Impro-Comedy üben? Welche Techniken gibt es?
Maria: Im englischsprachigen Raum gibt es zwei Formen: Shortform-Impro und Longform-Impro. Shortform-Impro ist eher spielerisch und kompetitiv. Zwei Teams treten gegeneinander an und messen sich in spontanen Kategorien. Zum Beispiel bekommt ein*e Zuschauer*in eine Klingel, die sie/er läuten kann, wenn die Performer eine vom Publikum vorab vereinbarte Aktion spontan in die Szene einbauen müssen. Das kann ein Akzent sein oder es muss plötzlich gesungen statt gesprochen werden. In unserer großen Show „The Witching Hour“ machen wir das auch. Bei der Longform-Impro sind die Szenen länger und es gibt mehr Storytelling.

Madlen: Wenn wir üben, arbeiten wir mit vielen Methoden aus dem Schauspielbereich. In einer normalen Probe wärmen wir uns auf, spielen kleine Szenen und proben ein Set. Das heißt nicht, dass wir mit einem Skript arbeiten. Wir üben keine bestimmte Szene oder Figur, sondern eher ein Muster. Außer wir bereiten einen Sketch für unser anderes Format vor, unsere Variety-Show „The Witching Hour“. Die besteht nicht ausschließlich aus Improvisation.

Maria: Das Character Wheel ist ein Beispiel für eine Übung. Darin steht eine Person in einem Kreis und bekommt von den anderen einen Character zugewiesen, den sie spielen muss. Manche Übungen sind in unbekannten Gruppen schwieriger. Je besser du die Gruppe kennst, desto besser wird die Impro. Du weißt dann wie du die Stärken der anderen bespielst und womit sie sich wohlfühlen. Das nennt man „group mind“.

Impro fühlt sich oft an wie Therapie.

Maria Purtscher

Schon wieder so spirituell.
Maria: Das ist es. Impro fühlt sich oft an wie Therapie.

Madlen: Wenn ihr keinen Therapeuten findet, macht einfach Impro. Auf beides muss man sich einlassen können.

Was macht ihr, wenn eure Witze nicht ankommen oder euch keine Pointe einfällt? Wird man da panisch?
Madlen: Dadurch, dass wir schon lange ein Team sind, fühle ich mich komplett sicher. Wenn ich keine tolle Idee habe, kommt jemand und hilft mir. Ich bin nicht alleine dafür verantwortlich die beste Pointe zu bringen. Es ist kein Ego-Spiel, sondern ein Zusammenspiel. Vor der Show umarmt man jeden und sagt „I got your back“. Auch wenn es Dinge gibt, die nicht so funktionieren, sind diese eher flüchtig.

Maria: Klar, denkt man sich manchmal „Scheiße, der Witz kam nicht an“. Man lernt aber auch ohne hohe Erwartungen reinzugehen. Man muss nicht dieses eine Knallerding bringen. Ich habe den direkten Vergleich mit Stand Up Comedy, das ich ein paarmal gemacht habe. Wenn da alles gut geht, bist du die Heldin. Wenn es aber schief geht, bist du alleine und du gehst alleine von der Bühne. Es ist einfach ein schönes Gefühl gemeinsam Menschen zum Lachen zu bringen.

Die nächste Show der „Rhymes with Witches“ heißt „The Cauldron“ und findet am 23. Februar um 20 Uhr in der Sisyfass Bar in Berlin statt. Der Eintritt ist spendenbasiert. Ihre große Variety-Show „The Witching Hour“ findet jeden ersten Samstag im Monat im Laughing Lizard Playhouse statt. Das nächste Mal am 5. März, der Eintritt beträgt zehn Euro.

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