Interview

Initiative Ferhat Unvar: „Ihre Geschichte soll im kollektiven Gedächtnis verankert bleiben“

Eren Okcu
Eren Okcu setzt sich bei der Initiative Ferhat Unvar für mehr Aufklärung über rassistische Gewalt ein.
Rita Rjabow, funky-Jugendreporterin

Hanau. Der Anschlag in Hanau jährt sich zum vierten Mal. Im Februar 2020 starben neun Menschen mit Migrationsgeschichte bei einem Attentat. Um einen nachhaltigen Wandel im gesellschaftlichen Bewusstsein zu bewirken, setzt sich die Initiative Ferhat Unvar heute für antirassistische Bildungsarbeit ein. Ihr Ziel besteht darin, sicherzustellen, dass die Geschichten der Opfer rassistischer Gewalt in Hanau nicht vergessen werden. In diesem Interview gewährt der Jugendbildungsreferent Eren Okcu Einblick in die Arbeitsweise der Bildungsinitiative, ihre Ziele und die Hoffnungen für die Zukunft.

(c) Bildungsinitiative Ferhat Unvar

Was macht antirassistische Bildungsarbeit für die Initiative Ferhat Unvar aus?
Unsere antirassistische Bildungsarbeit basiert auf mehreren Bausteinen, die ineinandergreifen. Wir bieten verschiedene Workshops in Schulen an. Wir setzen wir auf Empowerment-Workshops, in denen wir Betroffene stärken und ermächtigen möchten. Hier vermitteln wir nicht nur Wissen über ihre Rechte, sondern fördern auch ihre persönliche Entwicklung und ihr Selbstbewusstsein. Parallel dazu führen wir Sensibilisierungsworkshops durch, vor allem an Schulen, um ein Bewusstsein für Alltagsrassismus zu schaffen und Vorurteile abzubauen.

Wie laufen die Empowerment- und Sensibilisierungsworkshops ab?
Die Empowerment-Workshops sind interaktiv und partizipativ gestaltet. Wir arbeiten mit den Betroffenen auf Augenhöhe, um ihre individuellen Bedürfnisse zu verstehen. Themen wie Selbstbehauptung, rechtliche Grundlagen und Gemeinschaftsstärkung stehen dabei im Fokus. Die Sensibilisierungsworkshops in Schulen folgen einem strukturierten Ansatz. Wir verwenden Methoden wie Rollenspiele, Diskussionen und Vorträge, um Schülerinnen und Schüler für das Thema Rassismus zu sensibilisieren und ihnen ein tieferes Verständnis zu vermitteln. Gemeinsam mit jungen Menschen erkennen wir im Rahmen unserer Workshops ihre individuellen Bedürfnisse und sprechen darüber, wie mit Diskriminierung und Rassismus umgegangen wird.

Ihr setzt im Alltag der Betroffenen an und geht deshalb explizit in die Schulen. Wie hat sich der Fokus auf diese Zielgruppe ergeben?
Der Fokus auf Schulen ergab sich aus der Erkenntnis, dass Bildung einen entscheidenden Einfluss auf gesellschaftliche Einstellungen hat. In der Schule formt sich das Bewusstsein junger Menschen. Indem wir hier ansetzen, hoffen wir, langfristig das gesellschaftliche Klima zu verändern und Rassismus aktiv zu bekämpfen.

Als Bildungsinitiative ist es für euch besonders entscheidend, pädagogische Prozesse zu begleiten. Wie kann man sich das vorstellen?
Genau, die pädagogische Begleitung ist essenziell. Wir bieten kontinuierliche Workshops an, die sich über das Schuljahr erstrecken. Dabei setzen wir auf langfristige Partnerschaften mit Schulen und passen unsere Workshops an den individuellen Bedarf an.

Wir schauen zurück und denken an die Opfer von Halle, Mölln, München, Kassel und vielen anderen Orte. Welche Hoffnung habt ihr als Initiative, was muss anders laufen?
Unsere Hoffnung ist, dass die Gesellschaft aus den vergangenen Ereignissen lernt und entschlossen handelt. Es muss ein Bewusstseinswandel stattfinden, der zu konkreten Maßnahmen gegen Rassismus führt. Es darf nicht nur Empörung folgen, sondern es müssen konkrete Veränderungen angestoßen werden. Es bedarf eines Umdenkens auf allen Ebenen der Gesellschaft, von der Politik über Bildungseinrichtungen bis hin zu jedem Einzelnen.

In diesem Kontext fällt häufig die Aussage „Es soll nicht vergessen werden.“ Was ist damit genau gemeint?
Die Aussage bezieht sich darauf, dass wir und als Gesellschaft der Geschichte bewusst bleiben müssen. Insbesondere die Opfer von rassistischer Gewalt dürfen nicht in Vergessenheit geraten. Ihre Geschichte muss im kollektiven Gedächtnis verankert bleiben. Wir wollen sicherstellen, dass aus der Vergangenheit gelernt wird, um aktiv gegen Rassismus vorzugehen.

Hanau war im Frühjahr 2020 präsent in den Medien. Inzwischen wird das Thema in der Berichterstattung nur noch zum Jahrestag aufgegriffen. Welche Berichterstattung wünschst du dir in der Zukunft?
Für die Zukunft erhoffe ich mir eine kontinuierliche, sensible Berichterstattung, die nicht nachlässt. Die Medien spielen eine Schlüsselrolle dabei, das öffentliche Bewusstsein aufrechtzuerhalten. Wir wünschen uns eine journalistische Auseinandersetzung, die die Perspektiven der Betroffenen respektiert und dazu beiträgt, Rassismus als gesamtgesellschaftliches Problem zu begreifen.

Welche Möglichkeiten gibt es, der Initiative Ferhat Unvar unter die Arme zu greifen?
Unsere Fördergelder reichen nicht aus, daher sind wir für unsere Bildungsarbeit auch auf Spendengelder angewiesen. Neben Spendenkampagnen auf betterplace sind wir auch offen für Kooperationen mit Unternehmen, Stiftungen oder anderen Organisationen. Über unsere Social-Media-Kanäle sind wir erreichbar, wenn jemand Ideen für Formate oder über Möglichkeiten der Zusammenarbeit hat.

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Wir haben genug davon, dass die Geschichten immer nur von den Alten erzählt werden. Deswegen haben wir den Stift selbst in die Hand genommen, sind durch die Lande gezogen, haben Geschichten und Menschen gesucht, gefunden und alles aufgeschrieben, was uns untergekommen ist. Wir haben unsere Smartphones und Kameras gezückt und Fotos und Videos gemacht. Auf funky zeigen wir euch die Ergebnisse unserer Recherchen.