Ein Podcast aus dem Gefängnis

Ein junger schreibt etwas
Für eine Podcastaufnahme ist Vorarbeit erforderlich.

Gewalt, Drogen und Schlägereien: Über den Gefängnisalltag kursieren viele Klischees. Doch nur die wenigsten wissen, wie das Leben hinter Gittern wirklich ist. Im Podcast „Zweidrittel FM“ erzählen es die, die es wissen müssen: Inhaftierte aus der Jugendstrafanstalt Berlin. funky war während einer Podcast-Produktion im Jugendgefängnis zu Besuch.

Lisa Rethmeier, funky-Jugendreporterin
„Zweidrittel FM“ möchte einen neuen Blick auf den Strafvollzug ermöglichen.

Eine verschlossene Tür reiht sich an die nächste. Birgit Lang zückt immer wieder ihren großen Schlüsselbund. Jede einzelne Tür muss auf- und wieder zugeschlossen werden. Der Weg durch die grauen Flure führt zur Helmuth-Hübener-Schule – einer Schule mitten im Gefängnis, integriert in die Jugendstrafanstalt Berlin.

Im geschlossenen Vollzug sitzen dort aktuell zwischen 200 und 300 männliche Straftäter zwischen 14 und 24 Jahren ihre Haft ab. Etwa 20 von ihnen schaffen es jedes Jahr, ihren Schulabschluss zu machen. Birgit Lang ist hier Schulleiterin. Am Dienstagnachmittag geht sie aber nicht zum Unterrichten in die Schule. Stattdessen findet heute etwas anderes statt: die Produktion des Podcasts „Zweidrittel FM“. Ein Podcast aus dem Gefängnis, in dem junge Männer über ihren Alltag in Haft berichten.

Mal nicht das Gangster-Klischee bedienen

Die Sozialwissenschaftlerin Birgit Lang arbeitet schon seit 20 Jahren in der Jugendstrafanstalt. Die Schulklassen sind klein, sie bestehen aus fünf bis sechs Schülern. Die Lehrerinnen und Lehrer müssen vielen Häftlingen erst einmal Deutsch beibringen, damit sie überhaupt die Möglichkeit haben, Angebote im Vollzug wahrnehmen zu können. Angebote wie den Podcast. „Hier sitzen junge Menschen, die an einem Punkt in ihrem Leben etwas gemacht haben, das nicht in Ordnung war. Doch das macht sie nicht per se zu schlechten Menschen. Man muss sie nicht nur wegsperren, man kann mit ihnen tolle Projekte umsetzen. Sie haben viel drauf, ob musikalisch oder redaktionell“, so die Schulleiterin.

Durch den Podcast haben die jungen Männer die Möglichkeit, in einer besonderen Form mit der Außenwelt zu kommunizieren. Er verschafft ihren Stimmen Gehör, die sonst an den hohen Mauern des Gefängnisses verstummten. Sie können Geschichten erzählen, die nicht das typische Gangster-Klischee bedienen, sondern bei denen sie als Menschen im Mittelpunkt stehen. Allen Beteiligten des Podcasts ist es wichtig, einen neuen Blick auf den Strafvollzug zu ermöglichen. Weg von den voyeuristischen, skandalbezogenen Berichten. „Häftlingen wird viel zu selten eine Stimme gegeben. Dabei kann niemand besser vermitteln, was man tun kann, damit man nicht hier landet“, findet Birgit Lang.

Ursprünglich sollte der Podcast eine Schülerzeitung werden. Es wurde aber schnell festgestellt, dass so ein weißes Blatt ganz schön angsteinflößend sein kann und die Schüler nicht wirklich Lust hatten, zu schreiben. Die Idee, anstatt der Schülerzeitung einen Podcast zu machen, fand jedoch Anklang. Schnell fand sich ein Team aus interessierten Inhaftierten, Musikerinnen und Musikern, Journalistinnen und Journalisten sowie Lehrerinnen und Lehrern zusammen. Seit nunmehr zwei Jahren wird das Projekt finanziert, erst vom Berliner Projektfonds Kulturelle Bildung und jetzt von der Senatsverwaltung für Justiz.

Im Podcast werden Geschichten erzählt, die nicht das Gangster-Klischee bedienen. © Zweidrittel FM

Die Nachwuchspodcaster treffen sich wöchentlich in dem kleinen Klassenraum der Helmuth-Hübener-Schule. Hier werden Interviews geführt, Beiträge gestaltet und ab und zu wird auch mal gerappt. Ein Name für den neuen Podcast war auch schnell gefunden: „Zweitdrittel“, ein Wort, das eine ganz besondere Bedeutung für jeden Häftling hat. Denn bei guter Führung können Inhaftierte bereits nach zwei Dritteln ihrer Haft entlassen werden.

Schreie auf dem Gefängnishof

In dem Raum, wo gleich der Podcast produziert wird, sieht es fast so aus wie in einem normalen Schulzimmer – wären da nicht die weißen Gitter an den Fenstern. Hinter ihnen liegt der Gefängnishof. Obwohl er menschenleer ist, hallen laute Schreie zum Klassenraum herüber. „Viele Häftlinge kommunizieren über den Hof. Sie sehen sich hier nicht oft, da ist das Rufen aus der Zelle eine gute Möglichkeit, etwas mitzuteilen“, erklärt Jonas Seufert. Er ist Journalist und Mitproduzent des Podcasts. Gerade ist er damit beschäftigt, das Set für heute aufzubauen.

Die Inhaftierten Hannes* und Amar* werden heute den Podcast mitmoderieren. Das Thema der Folge lautet „Kommunikation“. Hannes trägt ein weißes Top, auf das er ein Nike-Logo mit schwarzem Edding gemalt hat. Er ist etwas geknickt, weil seine geplante Rap-Aufzeichnung aus Kostengründen erst mal verschoben werden musste. „Musik spielt eine große Rolle in meinem Leben. Gerade hier. Sie gibt mir die Kraft, das alles zu überstehen. Es wäre mein Traum, selbst Musik zu machen“, sagt er.

Hannes ist 20 Jahre alt. Ein Alter, in dem man eigentlich mit seinen Freundinnen und Freunden um die Häuser zieht, sich verliebt und verschiedenes ausprobiert, weil man doch eigentlich noch gar nicht weiß, was man mit seinem Leben anstellen möchte. Hier will man aber sicher nicht landen.
Jeder Tag startet für Hannes um sechs Uhr morgens mit einer Lebendkontrolle. Beamtinnen und Beamte kommen kurz in seine Zelle, um zu schauen, ob er noch lebt und wie es um seine Gesundheit steht. Anschließend wird das Frühstück ausgegeben. Um 7:30 Uhr geht es für Hannes in die Gefängnisschule. Gerade macht er seine Berufsbildungsreife. Die Schule geht meist bis 13 Uhr. Danach wird er bis 15 Uhr in seiner Zelle eingeschlossen. Nach dem Essen gibt es um 15:30 Uhr eine Freistunde für die Leute, die gearbeitet haben. Von 16:30 bis circa 19:30 Uhr ist sogenannter Aufschluss. Dann kann sich Hannes innerhalb seiner Abteilung frei bewegen und zusammen mit den Gefangenen seiner Station kochen oder Freizeitangeboten nachgehen, wie zum Beispiel Billard spielen.

Ein eher sporadisches Podcast-Setup. © Zweidrittel FM

Am Nachmittag gibt es auch Behandlungsangebote und Therapien, die die Häftlinge wahrnehmen können. Hannes geht zur Hundetherapie. Es gibt auch einige Sport-AGs, wie Fußball, Fitness oder Laufen. Eine Stunde am Tag dürfen die Gefangenen auf den Gefängnishof. Um 19:30 Uhr stehen für Hannes Hausarbeiten an: Gemeinsam mit einer anderen Gefängnisabteilung müssen die Räumlichkeiten geputzt werden. Um 20:30 Uhr, manchmal auch erst um 21 Uhr, wird die Zelle hinter ihm verschlossen. Dann sieht Hannes fern, hört Musik oder macht seine Hausaufgaben. Auf den neun Quadratmetern finden Waschbecken, Bett, Schrank, Schreibtisch und Kühlschrank gerade so Platz.
Im Gefängnis gibt es ein striktes Handy- und Internetverbot. Laut Hannes halten sich aber längst nicht alle Häftlinge daran. Viele besäßen ein eingeschmuggeltes Mobiltelefon. Die Regeln im Gefängnis besagen anderes: Um Kontakt nach draußen zu halten, können die Häftlinge Briefe schreiben oder eine halbe Stunde am Tag mit ihren Angehörigen telefonieren oder skypen. Alle zwei Wochen dürfen sie Besuch von bis zu drei Personen bekommen. Zwei Stunden lang kann Hannes dann mit ihnen im Besuchsraum unter Aufsicht Zeit verbringen und sich austauschen.

Viele Kontakte nach draußen hat Hannes jedoch nicht. Eigentlich nur noch zu seiner Familie und zu ein, zwei Freunden. Die anderen melden sich nicht mehr. Im Gefängnis hat er aber ein paar neue Leute kennengelernt, zu denen er auch draußen den Kontakt halten möchte.

Allein mit den schlechten Gedanken

Hannes muss noch zwei Jahre seiner Strafe absitzen. „Ich versuche, die Zeit hier zu überstehen, indem ich mir nicht zu viele Gedanken über das mache, was draußen passiert, sondern im Hier und Jetzt lebe. Es hilft auch, sich ein bisschen über das alles lustig zu machen und es nicht zu ernst zu nehmen“, verrät er. Doch die ersten Monate im Gefängnis waren für ihn alles andere als lustig. „Es war hart, allein in der verschlossenen Zelle zu sein. Sonst war ich abends immer draußen mit Freunden unterwegs. Hier bin ich ganz allein, auch mit meinen schlechten Gedanken“, erzählt er.

Hannes grübelt lange über die Frage nach, ob er im Gefängnis auch schöne Momente erlebt hat. „Den Schulunterricht!“, sagt Frau Lang lachend in die Stille. „Ja, der Schulunterricht ist wirklich schön. Die Lehrerinnen und Lehrer tun viel für uns. Sie unterstützen und motivieren uns, den Schulabschluss zu schaffen. Ansonsten hatte ich hier aber keine schönen Momente“, stimmt Hannes ihr zu.
Der Journalist Jonas Seufert ist seit Anfang an beim Podcast dabei. Er ist der Meinung, dass die Lebenswelt der Häftlinge in der Berichterstattung vernachlässigt wird: „Es blicken so viele Leute auf die Gesellschaft. Warum nicht auf die Menschen hier?“ Seufert hat schon viele Geschichten von Inhaftierten miterzählt. Eine ist ihm besonders nahegegangen: Zwei junge Männer redeten im Podcast über ihre Freundschaft und ihre Lebensgeschichte. „Das ist ein ungewöhnlicher Schritt, weil hier eigentlich Common Sense ist, dass man niemandem vertrauen kann.“

Im Hintergrund sind wieder Schreie zu hören. „Das Gefängnis ist eine Black Box. Niemand weiß genau, was hier passiert, und trotzdem soll es eine Wirkung auf uns da draußen haben. Ich glaube aber, dass es in einer demokratischen Gesellschaft wichtig ist, zu wissen, was hier tatsächlich passiert. Man sollte sich fragen, ob das hier überhaupt der richtige Ort für Jugendliche ist“, findet Jonas Seufert.
Die Schreie draußen werden immer lauter. Plötzlich ertönt eine Sirene und die Tür öffnet sich. Ein Wachmann betritt den Raum. „Alarm“, sagt er knapp und geht zum Fenster. Von hier aus kann er den ganzen Hof überblicken. Er bleibt kurz stehen und verlässt das Zimmer dann wieder. Nach ein paar Minuten ist alles vorbei und über den Hof legt sich eine gespenstische Stille.

Seufert ist nachdenklich: „Ich frage mich immer mehr, wie sinnvoll das Gefängnis ist. Wie soll es strukturell dazu führen, dass es weniger Kriminalität gibt? Ein Gefängnis soll der ganzen Gesellschaft zugutekommen. Doch tut es das wirklich?“

*Namen von der Redaktion geändert

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Wir haben genug davon, dass die Geschichten immer nur von den Alten erzählt werden. Deswegen haben wir den Stift selbst in die Hand genommen, sind durch die Lande gezogen, haben Geschichten und Menschen gesucht, gefunden und alles aufgeschrieben, was uns untergekommen ist. Wir haben unsere Smartphones und Kameras gezückt und Fotos und Videos gemacht. Auf funky zeigen wir euch die Ergebnisse unserer Recherchen.