Achselhaare: „Hey, guck mal, ich habe auch welche!“

Junge Frau mit über dem Gesicht verschränkten Armen und Achselhaaren
Viele Frauen machen Erfahrungen mit der indirekten Erwartung, immer rasiert sein zu müssen.

Achselhaare als politisches Statement? Wir haben mit einer jungen Frau geredet, die es unter den Achseln wieder wachsen lässt.

Lara Eckstein, funky-Jugendreporterin

Eigentlich haben sie fast alle. Ob dunkel, hell, kraus oder glatt – oder sogar extravagant in bunt gefärbt. Haare unter den Achseln sind total normal und natürlich darf jede*r damit anstellen, was sie*er möchte. Dennoch entscheidet sich der Großteil der Frauen für eine Glattrasur. Warum? Weil es das Schönheitsideal so vorgibt. Dieses vermittelt Frauen, dass Körperbehaarung und Femininität nicht zusammenpassen würden.

Ich habe mich heute mit meiner Freundin Renée auf einen Kaffee zusammengesetzt und wir haben über das Thema gequatscht. Sie entscheidet sich seit ungefähr sechs Monaten aktiv gegen eine Rasur – und das nicht nur aus ästhetischen Gründen. Für sie ist es vor allem ein politisches Statement.

Disclaimer: In diesem Artikel geht es nicht um Achselhaare an sich. Es geht vielmehr um eine Frau, die aus dem Frauenbild ausbrechen möchte, in das sie die Gesellschaft drängen will. Renée versteht sich als Feministin und dazu gehört für sie weitaus mehr als das, was sich unter ihren Achseln tut. Dennoch nutzt sie die Haare als stummes Statement, durch das sie klare und provokante Zeichen setzen kann.

Natürlich sehen nicht alle Menschen, die ihre Achselhaare wachsen lassen, darin etwas Politisches. Am Ende des Tages kann es für jede*n etwas anderes bedeuten – oder eben gar nichts. Und auch glattrasiert zu sein bedeutet nicht, dass man unpolitisch ist. Es sollte egal sein, wie du deinen Körper aussehen lässt und dass Körperbehaarung an Frauen für viele als etwas Provokantes verstanden wird, zeigt, dass Feminismus auch im Jahre 2022 noch hoch aktuell und wichtig ist.

Das erste Mal den Druck gespürt

Tatsächlich war das mit den Haaren nicht immer so. Auch Renée hat, wie viele andere Teenagerinnen, früh mit dem Rasieren angefangen. Sie erinnert sich noch an den Moment, in dem ihr das erste Mal bewusst wurde, wie hoch der gesellschaftliche Druck tatsächlich ist. Eine gute Freundin wies sie auf ihre Achselhaare hin, die bereits viel zu lang seien. Sofort fühlte sich Renée als sei sie merkwürdig. „Ich habe mir zu Hause sofort die Achselhaare rasiert – es waren gerade mal vier Stück. Seitdem habe ich es regelmäßig gemacht.“ Renée war damals 14 Jahre alt.

Sexualität kam inklusive Rasierer

Mit 16 Jahren hatte sie ihren ersten richtigen Freund. Alles war aufregend, das erste Mal nackt vor jemandem zu stehen erst recht. Dabei durfte bloß kein Haar zu sehen sein. Ganze drei Jahre waren die beiden zusammen, da kam das Thema Rasur doch sicherlich mal auf – oder? „Nein, wir haben nie konkret darüber gesprochen, aber ich wusste, er würde keine Haare an meinem Körper sehen wollen.“ Renée erlebte es als indirekte Erwartung, fast schon als eine Regel für Frauen, immer rasiert zu sein, ohne dass die Behaarung überhaupt angesprochen werden musste.

Das Rasierblatt wendete sich

Irgendwann hat es ihr gereicht. Anfangs aus Faulheit vernachlässigt, später aus Protest wachsen lassen. Der Rasierer wurde in die hintere Ecke des Badezimmers verbannt und Renée war gleich viel freier.  „Ich fühle mich seitdem empowert und mehr meinem Selbstbild entsprechend“, stellt sie fest. Der Feminismus habe sie dabei definitiv inspiriert, diesen „Schritt“ zu gehen und die Haare wachsen lassen. Für sie ist es eine Rebellion gegen die Erwartungen der Gesellschaft an Frauen.

Sie fordert, dass das Thema Körperbehaarung und dessen Zweck im Sexualunterricht thematisiert werden. Feminismus als eigenständiges Schulfach wäre ihr Traum – in unserem patriarchalen System aber leider utopisch, ergänzt sie. „Wir sollten in der Schule nicht nur über unsere bestehende Gesellschaft lernen, sondern auch darüber hinausgehen. Also auch darüber, was möglich sein kann, welche Probleme es gibt und dass es besser werden kann und muss.“.

Wie entkommt man dem Zwang?

„Für mich ist es jetzt leicht, da ich ein stabiles Umfeld habe, das meine Ansichten teilt und in dem ich sein kann, wie ich bin. Daher ist das der erste Schritt: Such dir Leute, die dich in dem bestärken was du machen willst.“ Renée betont außerdem, dass man sich niemals von einer*m Partner*in vorschreiben lassen sollte, wie man auszusehen hat. Präferenzen zu äußern ist okay, aber auf beiden Seiten muss akzeptiert werden, dass manche Vorstellungen eventuell nicht übereinstimmen.

Außerdem müsste man sich gegenseitig ein bisschen mehr supporten: „Wenn ich eine Frau mit Achselhaaren sehe, rufe ich: ‚Hey, guck mal, ich habe auch welche!‘ und dann kommen wir ins Gespräch. So kann man sich gegenseitig unterstützen und im besten Fall andere Frauen animieren, sich zu trauen, so auszusehen, wie sie möchten – auch wenn es gegen die gesellschaftlichen Normen verstößt.“


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