Inside Hogwarts: Eindrücke einer Austauschstudentin aus Cambridge

Clare College
Fast wie Hogwarts: Clare College in Cambridge, das temporäre Zuhause unserer Autorin.
Tamina macht trotz Corona ein Auslandssemester an der englischen University of Cambridge. Was sie dabei alles erlebt, darüber berichtet sie in ihrer Kolumne.
Tamina Grasme, funky-Jugendreporterin

Teil 7: Über die Herausforderung, zuhause im Ausland zu studieren (I)

Als ich Anfang Dezember für die Feiertage aus England zurück nach Hause fuhr, verließ ich ein Land in Aufbruchstimmung: Pubs, Restaurants, Museen und Bibliotheken waren geöffnet, Menschen saßen drinnen bei einem Pint zusammen und waren froh, endlich wieder soziale Kontakte pflegen zu können. Ich wusste, dass die Stimmung in Deutschland anders war – doch meine Vorfreude meinen Freund, meine Familie und meine Freundinnen und Freunde wiedersehen zu können war glücklicherweise größer als mein Unmut über die eingeschränkten Möglichkeiten in Berlin.

Unglücklicherweise wurde nur wenige Tage nach meiner Heimkehr ein neuer Lockdown in Berlin verhängt. Nach nur zweieinhalb Wochen Freiheit wurde meinem Leben also ein neuer Riegel vorgeschoben. Selbst die Glühweinstände, an denen man sich warme Getränke zum Mitnehmen für die Spaziergänge mit Freunden kaufen konnte, mussten jetzt dicht machen. Statt des Weihnachtsessens in meiner Wohnung mit dem gesamten Freundeskreis gab es nur Gemütlichkeit in kleiner Runde mit der Familie. Und dann war das Jahr auch schon vorbei. Wie viele andere hoffte auch ich, auf ein lang ersehntes Ende dieses Wahnsinns im neuen Jahr. Bitte lass 2021 besser werden, hoffte ich.

Neues Jahr, neues Glück? Eher nicht

Leider kam es dann doch anders als erhofft. Bevor ich nach Berlin zurückflog, hatte ich in Cambridge mit vielen anderen Studierenden und Lehrenden die Hoffnung auf einen zweiten Term in Präsenzbetrieb. Die Chancen dafür sahen gut aus, wurde doch der Lockdown beendet und die Impfkampagne in Großbritannien schon Anfang Dezember gestartet. Es sollte jedoch das Gegenteil eintreten.

Kurz nach Neujahr überschlugen sich die Nachrichten: in England wurde ein landesweiter neuer Lockdown verhängt, kurz darauf folgte die Ankündigung den Term komplett online stattfinden zu lassen. Wenig später wurde schließlich allen Studierenden die Rückreise ans College verboten. Innerhalb weniger Tage zerbrach mein schön zurechtgelegter Plan und alle Sicherheiten, die ich so dringend gebraucht hatte nach diesem vergangenen Jahr voller persönlicher Verluste und einer emotionalen Achterbahnfahrt nach der anderen.

Erasmus vom Berliner Küchentisch aus

Und so begann mein zweiter Term an der University of Cambridge nicht in England, sondern in Berlin-Kreuzberg, am Küchentisch der WG meines Freundes. Mein eigenes Zimmer hatte ich zu Beginn meines Auslandssemesters untervermietet für das gesamte akademische Jahr. Netterweise fand ich Asyl in der WG meines Freundes: wir teilten uns ein Zimmer, mein Schreibtisch war nun der Küchentisch. So glücklich ich über die schnelle Notlösung war, so schwierig war es dennoch, konzentriert zu arbeiten. Es herrschte ein ständiges Kommen und Gehen in der Küche. Richtiges Studieren ist da unmöglich. Während mein Sprachkurs an der Humboldt-Universität bereits kurz nach Neujahr wieder anfing, hatte ich in Cambridge noch bis Ende Januar Ferien. Bis dahin musste ich eine Lösung finden, denn wie sollte ich so wöchentlich Essays schreiben, Vorlesungen folgen, Seminare vorbereiten oder Diskussionen führen, wenn nebenbei immer jemand Essen kocht oder sich einen Kaffee macht?

Improvisierter Schreibtisch: check, Kurs: gesucht

Am Ende hatte ich auch mal etwas Glück. Eine der Mitbewohnerinnen kehrte aufgrund der hohen Fallzahlen in Berlin nicht in die WG zurück und ich durfte ihren Schreibtisch solange benutzen. Online zu studieren ohne vernünftigen Tisch, Stuhl, Licht oder WLAN ist eine Qual und raubt einem den letzten Nerv. Deswegen war ich sehr dankbar über diese Zwischenlösung.

Leider hörten damit die schlechten Nachrichten aber nicht auf. Pünktlich zu Beginn des Semesters in Cambridge ergaben sich die nächsten Probleme: ich war nicht auf der online-Lehrplattform für meinen neuen Masterkurs eingeschrieben, der Dozent wurde zu spät über meine Existenz informiert und zeigte wenig Verständnis dafür, dass Erasmus-Studierende die gleichen Rechte und Pflichten haben sollten wie reguläre Studierende. Um Punkte angerechnet zu bekommen an meiner Berliner Universität brauche ich eine Abschlussnote für jeden Kurs. Reguläre Studierende schreiben dafür ein Essay am Ende des Terms.

In Cambridge scheint der Brexit pünktlich umgesetzt worden zu sein – und die Erasmus-Studierenden damit vergessen

Für mich war scheinbar nur vereinbart worden, den Kurs besuchen zu dürfen – ohne jedoch eine Prüfung absolvieren zu können. Verzweifelt versuchte ich es bei allen mir bekannten Adressen: meiner Director of Studies, dem Erasmus-Koordinatoren der History Faculty in Cambridge und bei meinem Dozenten. Von niemandem bekam ich eine Antwort auf meine Fragen. Es ist ein absolut dämliches und erniedrigendes Gefühl, nur E-Mails schreiben zu können, in einem anderen Land, in einer anderen Stadt zu sitzen und nicht zu wissen, wo das Problem liegt und wie es sich lösen lässt. Aus Berlin war ich es gewöhnt, als Studentin Sachen selbst in Hand zu nehmen und mich zu kümmern, wenn es Probleme gab – denn hier fühlt sich niemand für die Studierenden zuständig, wer Glück hat, bekommt vielleicht noch etwas Feedback für die Abschlussarbeit.

In Cambridge soll das System so etwas jedoch genau verhindern. Während man sich an seine Tutorin oder seinen Tutor bei allen nicht-akademischen Angelegenheiten wenden kann, ist die oder der Director of Studies für die Organisation deines Studiums verantwortlich. In meiner Hilflosigkeit verschickte ich eine E-Mail nach der anderen – und bekam hauptsächlich passiv-aggressive Rückmeldungen und das Gefühl vermittelt, zu nerven, zu stören und mich gefälligst damit zufrieden zu stellen, hier sein zu dürfen. Lustig. Ich war ja nicht mal da.

Zwei enorm stressreiche, Zoom-Meetings und zahlreiche E-Mails später ließ sich endlich eine Lösung finden. Zwar wurde ich das gesamte Term das Gefühl nicht los, in meinem Masterkurs über das Empire nun ungewollt und bei meiner Director of Studies äußert unbeliebt zu sein, trotzdem konnte ich dahinter einen Haken setzen und mich auf die neuen Kurse und Essays vorbereiten.

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Wir haben genug davon, dass die Geschichten immer nur von den Alten erzählt werden. Deswegen haben wir den Stift selbst in die Hand genommen, sind durch die Lande gezogen, haben Geschichten und Menschen gesucht, gefunden und alles aufgeschrieben, was uns untergekommen ist. Wir haben unsere Smartphones und Kameras gezückt und Fotos und Videos gemacht. Auf funky zeigen wir euch die Ergebnisse unserer Recherchen.