Interview

Kea von Garnier: „Es mangelt an einer Fehlerkultur bei uns“

Ursprünglich hatte die selbstständige Grafikerin vor, über Inneneinrichtungen zu schreiben, konnte sich jedoch nach einiger Zeit nicht mehr damit identifizieren. Heute ist Kea von Garnier eine der wenigen, die ihre psychischen Erkrankungen auch der Öffentlichkeit preisgibt, und gerade veröffentlichte sie ihr Buch „Die Vögel singen auch bei Regen“. Wir haben sie getroffen und mit Kea über die Hintergründe ihrer Arbeit, ihr Buch und gesellschaftliche Zwänge gesprochen.
Ylva Immelmann, funky-Jugendreporterin

funky: Viele Menschen haben die Vorstellung, dass soziale Medien weniger sozial sind, sondern eher asozial und ungesund. Kea, du hast gegenteilige Erfahrungen gemacht – woran liegt das?

Kea: Ich bin in dieser „mentalen Gesundheits-Bubble“. Das ist eine ganz kleine Nische. Und der Hauptteil von dem, was auf Social Media passiert, ist in meinen Augen sehr oberflächlich. Stark gefilterte Fotos, sehr kapitalistisch geprägte, konsumorientierte Inhalte, die ich einfach furchtbar finde. Ich habe irgendwann gedacht: Ich will bei diesem Zirkus nicht mitmachen. Dann habe ich langsam mit den persönlichen Texten angefangen und irgendwann war das wirklich mein digitales Zuhause, wo ich einfach über mein Leben mit den Erkrankungen geschrieben habe. Wenn man sich nur all diese schönen Hochglanzbilder anschaut, dann fühlt man sich meistens hinterher schlechter als vorher. Und hat das Gefühl, man hat irgendwie nichts hingekriegt im Leben. Ich sehe Social Media superkritisch, obwohl ich selber dort aktiv bin. 

Inwiefern kann der Druck auf Instagram für Jugendliche gefährlich sein?

Ich möchte mir das gar nicht ausmalen. Als ich jung war, konnte ich mich mit den Mädchen aus meiner Klasse vergleichen und vielleicht auch noch mit irgendwelchen Stars aus der „Bravo“. Und das war’s! Inzwischen ist die Anzahl ins Unermessliche gestiegen, ich kann mich online mit Millionen anderen Menschen vergleichen. 

Hattest du früher Angst zu scheitern? Wie bist du mit Zukunftsängsten umgegangen?

Eigentlich bedeutet scheitern, dass ich irgendetwas ausprobiert habe und es nicht so funktioniert hat, wie ich mir das gedacht hatte. Meistens lernt man ja aber trotzdem was dabei. Ich glaube, wir haben in der Gesellschaft überhaupt keine gute Fehlerkultur. Man schämt sich, wenn etwas nicht funktioniert, und erzählt immer nur, was alles toll läuft. Dabei hat jeder von uns schon diverse Sachen in den Sand gesetzt, das ist ja ganz normal. Aber als ich jung war, hatte ich große Zukunftsängste. Vor allen Dingen hatte ich Angst, dass ich nie meinen Lebensunterhalt selbst verdienen könnte, dass mir das einfach nicht gelingen würde. Heute schreibe ich auch, um zu zeigen, dass man sich über die Jahre auch etwas aufbauen kann. Das ist vielleicht manchmal ein bisschen holprig und man muss Umwege machen – aber es ist trotzdem möglich. Das hat mir damals keiner gesagt. 

Wie gehst du heute damit um?

Ich habe nicht mehr so große Angst davor wie als junge Frau, weil ich jetzt einfach weiß: Irgendwie komme ich durch. In einer ganz schlimmen Phase habe ich auch mal ein Jahr lang Unterstützung vom Arbeitsamt bezogen. Da habe ich auch gedacht, oh Gott, das ist jetzt der Anfang vom Ende. Aber so war es nicht, es war einfach eine Phase. Auch so was kann passieren und gehört dazu – und auch das ist kein Grund, sich zu schämen. Das ist so ein tabuisiertes Thema. Aber es kann einfach passieren, dass man in Scheißsituationen kommt. Und dann ist es toll, dass man finanziell aufgefangen wird. 

Trotzdem ist es sehr stark mit Vorurteilen behaftet.

Ja. Wir leben in einer Leistungsgesellschaft – das heißt, du bist quasi nur was wert, wenn du selbst arbeitest, wenn du irgendetwas leistest. Das finde ich richtig, richtig schwierig und giftig. Menschen, die eine Erkrankung haben, die haben nicht das Problem, dass sie nicht genug wollen. Sie können es manchmal einfach nicht. Und sie sind trotzdem wertvoll, denn man hat doch so viel mehr zu geben als nur seine Arbeitskraft.

Anfang Oktober hast du ein Buch veröffentlicht. Was war das für eine Erfahrung, dein Leben zu rekapitulieren und in Worte zu fassen?

Das war spannend. Und auch ganz schön anstrengend. Ich glaube, wenn man gut schreiben möchte, muss man sich wirklich darauf einlassen, das emotional an sich heranzulassen. Ich habe meine ganze Lebensgeschichte ausgebreitet. Ich habe viel geweint beim Schreiben und viel verarbeitet. Deswegen war es jetzt, wenn ich am Ende zurückgucke, total gut. Währenddessen war ich aber manchmal auch an einem Punkt, an dem ich dachte, ich schaffe es nicht, das zu Ende zu bringen. 

Es ist ein schräges Gefühl, dass meine Lebensgeschichte jetzt im Buchladen liegt

erzählt uns Autorin Kea

Was ist es für dich für ein Gefühl, zu wissen, dass du das Buch fertig geschrieben hast und jetzt damit Menschen erreichen kannst?


Am Erscheinungstag selbst – und das ist auch jetzt manchmal noch so – habe ich mich sehr nackt und verletzlich gefühlt. Meine Lebensgeschichte liegt einfach in einem Buchladen, das ist ein schräges Gefühl. Aber ich bekomme jetzt allmählich erstes Feedback und die Nachrichten sind total liebevoll und wertschätzend. Dafür bin ich sehr dankbar.

Und wenn du jetzt deinem jugendlichen Ich begegnen und ihm irgendeinen Rat geben könntest, welcher wäre das?

Ich glaube, ich würde mir sagen, dass ich nicht so viel Angst vor der Zukunft haben muss. Man hat manchmal Angst, dass etwas passiert und dann geht gar nichts mehr. Aber so ist das Leben nicht. Das Leben ist dann doch irgendwie ganz schön geduldig mit einem. Auch wenn manches kompliziert ist, kann man das erreichen, was man sich wünscht und vorgenommen hat. Ich glaube, das würde ich mir sagen. Einfach zu akzeptieren, dass es Aufs und Abs gibt und auch geben darf. Dass ich nicht an irgendeinen Tag kommen muss, ab dem alles nur noch super ist, sondern dass es immer hoch- und runtergehen kann und dass das total normal ist. Und dass ich mich nicht dafür schämen muss, krank zu sein oder anders zu sein, und da ganz offen zu mir stehen kann. 

Wir haben genug davon, dass die Geschichten immer nur von den Alten erzählt werden. Deswegen haben wir den Stift selbst in die Hand genommen, sind durch die Lande gezogen, haben Geschichten und Menschen gesucht, gefunden und alles aufgeschrieben, was uns untergekommen ist. Wir haben unsere Smartphones und Kameras gezückt und Fotos und Videos gemacht. Auf funky zeigen wir euch die Ergebnisse unserer Recherchen.